Atomkraft für die Staatsräson

■ betr.: „Proteste in Frankreichs Parlament“, taz vom 30. 1. 97

Wegen des „Zweitnutzens“ der Atomkraft für die Staatsräson werden in den anstehenden sogenannten Energiekonsensgesprächen die Gegner von Atomkraftwerken auch weiterhin auf Granit beißen müssen; denn ohne atomtechnologische Infrastruktur im eigenen Lande wäre ein Staat mit seinem seit den 50er Jahren beharrlich gehätschelten Traumziel der „europäischen Option“ auf die Bombe nicht viel mehr als ein zahnloser Papiertiger. Nicht ohne Grund wird nach US-amerikanischen und anderen wesentlichen Analysen der Proliferationsrisiken in der Welt für die Region Europa die Bundesrepublik auf einem der vorderen Plätze geortet.

Der von Bonn seit Jahrzehnten gebetsmühlenartig propagierte Atombombenverzicht hat, bei Lichte besehen, etwa dieselbe „Qualität“ wie Blüms „Die Renten sind sicher“ oder Kohls abenteuerliche Vernebelungstatik erst um D-Mark-West gleich D-Mark-Ost, dann zur D-Mark und Stabilität des Euro-Chip. Adenauers gekonnt schlitzohrig formulierter Atombombenverzicht, auf den sich Bonn heute noch bezieht (zum Beispiel Kohl vor dem Bundestag am 13. Juli 1995), hat der „europäischen Option“ auf die Bombe noch nie ernstlich im Wege gestanden. Außer bei den Sowjets. Aber die gibt es ja nicht mehr.

Behandelt wird diese gesamte Problematik in Arbeitspapieren und Dokumentationen regierungsnaher Institutionen insbesondere seit 1989/90, also seit Zerfall der Sowjetunion und deutscher Wiedervereinigung zu heutiger Größe mit wirklich totaler Souveränität auch für Militarisierung der Außenpolitik mit dem immer lautstärker gewordenen Anliegen, endlich in den Sicherheitsrat einziehen zu können. Auf einen der wenigen „ständigen Sitze“ unmittelbar neben den offiziellen Atomwaffenstaaten. Übrigens: die genannten „Arbeitspapiere“ sind zwar in der Öffentlichkeit so gut wie unbekannt. Aber geheim sind sie nicht. Jede gute Buchhandlung kann sie besorgen. Hans Grossmann, Maintal