„Bosambo ist wie ein Gespenst“

Der Name stammt aus Romanen von Edgar Wallace. Doch seine Brutalität ist real. In Italien werden Immigranten von einem Farbigen schikaniert. Die Methoden hat er bei der Mafia abgeschaut  ■ Aus Mondragone Werner Raith

Die Haken kommen so schnell, daß man sie kaum wahrnimmt: ein Schlag in die Magengrube, der zweite schräg ans Kinn, dann ein Knietritt in den Unterleib: Der junge Mann kann nicht einmal einen Wehlaut ausstoßen, der Atem ist weg. Als er zu Boden fällt, ist nur ein leises Ächzen zu hören. Genauso blitzschnell stehen acht Männer um ihn herum und schirmen ihn vom Schläger ab. Aber niemand greift den Mann mit den schnellen Fäusten an, obwohl der offenkundig alleine ist und keinerlei Waffen zeigt.

Die Männer reden beruhigend auf das Opfer am Boden ein. Der Schläger scheint allen bekannt zu sein. „Dabei hat er nicht mal einen richtigen Namen“, sagt der Alte, „sie nennen ihn nur ,Bosambos rechte Hand‘ oder auch nur ,die Rechte‘.“ Wo der Mann auftaucht, ist nichts Gutes zu erwarten. „Solche Szenen haben wir jede Woche ein paarmal“, flüstert der Mann hinter der Espressotheke, „neu ist nur, daß er es auch macht, wenn Weiße zugegen sind.“

Der Schläger trinkt ruhig seinen Espresso, dann dreht er sich langsam zur Tür, hebt einen Augenblick den Zeigefinger und verschwindet durch die herabhängenden Glasperlenschnüre.

„Bosambos rechte Hand“ gehört zur Gilde jener gefürchteten „Squadren“ von Immigranten an der Küste nördlich von Neapel, die im ganzen Gebiet Befehle ihrer Herrn exekutieren – auch diese Zuwanderer, meist aus Afrika oder Asien. „Ohne Bosambo gäbe es keine ,Rechte Hand‘, der Knabe wäre nur ein eitler Fatzke“, knurrt ein alter Mann und zupft sich nachdenklich an seinem weißen Bart, „andererseits: ohne Bosambo wären wir in noch schlechteren Händen, in denen der Weißen, der hiesigen Camorra.“ Er blickt nach rechts hinüber, wo sich ein Mittdreißiger mit starken Oberarmen aufrichtet und einige Gegenstände aufklaubt, die dem Opfer aus der Hose gefallen sind: Münzen, eine Uhr, einige Talismane. „Martin ist unser Philosoph“, sagt der Mann und weist auf den Alten, „der sieht alles in höherem Zusammenhang.“

Der junge Mann, der zusammengeschlagen wurde, richtet sich langsam auf. Er spuckt etwas Blut, putzt sich das Gesicht. Dann geht er hinaus, zwei Freunde begleiten ihn. Die anderen lehnen sich wieder an die Bar. Gut zwanzig Männer stehen im Lokal herum, einige essen Pizza. Alles Afrikaner, nur der Mann hinter der Espressotheke ist Italiener, allerdings mit derart dunkel gegerbter Haut, daß auch er als Immigrant durchgehen könnte. Martin, der alte Mann, leitet seinen Namen vom amerikanischen Bürgerrechtler Martin Luther King her: Er ist eine Art Moderator, ein Vermittler bei Streitigkeiten zwischen den Tausenden Farbigen, die an der Küste hier leben, aber „in letzter Zeit ist da nicht mehr viel zu vermitteln“, sagt er ohne irgendwelche Erregung, „heute hauen die immer gleich zu, bevor man etwas sagen kann.“ Oder, schlimmer noch: „Sie bringen den einen oder anderen um“, setzt der andere Mann dazu, den sie mit Joseph anreden, obwohl er immer korrigiert, daß er O'Safa heißt. Martin nickt. Die Stimmung ist resiginiert – als wäre alles Schicksal.

Doch wer ist Bosambo? Der Name stammt aus den Afrika-Romanen von Edgar Wallace. Darin formt ein Mann dieses Namens seinen zunächst lethargischen Stamm zu einer entschlossenen Diebes- und Kriegerbande. Am Ende wird er zum wichtigsten Ansprechpartner der britischen Regierung.

Martin lächelt: „Den Namen hat ihm ein Polizist gegeben, der die Romane kannte und der vielleicht froh war, daß da einer bei den Immigranten Ordnung schafft.“ Doch kennengelernt hat der Polizist ihn wohl auch nicht – „Bosambo ist wie ein Gespenst, überall und nirgends“, sagt Martin ehrfurchtsvoll, als er mit drei Freunden die Via Domiziana zur „Haltestelle“ hinuntergeht.

Die „Haltestelle“ ist eine Art Sammelplatz. Jetzt, um sieben Uhr früh, stehen hier etwa siebzig schwarze Männer und Frauen. Sie hoffen, daß bald der Laster kommt, der sie auf die Felder oder in die Haine bringt. Derzeit werden Oliven geflückt, Orangen und Mandarinen verladen, in einigen Gebieten wird auch gepflanzt – da sind die Leute aus Afrika gefragt. Die meisten tragen kleine Stempel auf dem Handgelenk, so wie man sie sonst beim Einlaß in Dikotheken aufgedrückt bekommt. Hier besagt der Stempel, bei wem sein Träger arbeiten darf. „Der junge Mann, den ,die Rechte‘ da eben zusammengeschlagen hat“, erklärt Martin, „hat sich zweimal von anderen Bauern anheuern lassen. Denen werden sie wohl heute oder morgen das frischbepflanzte Feld umpflügen oder ein paar Bäume absägen, damit auch sie Bescheid wissen. Hier ist alles genau eingeteilt.“ Dann blickt er verschmitzt: „Müßte euch Deutschen doch gefallen, oder?“ Bei genauerem Hinsehen entdeckt man bei vielen Männern und Frauen an der „Haltestelle“ Blessuren und Narben im Gesicht und an den Armen. Martin bemerkt den Blick: „Ja, auch sie hat's erwischt. Sie wollten nicht glauben, daß Bosambo alles sieht und alles weiß.“

Langsam fährt ein Polizeiauto vorbei, dann ein zweites. „Die trauen sich nicht zu halten“, sagt Martin. „Als vor einigen Wochen ein Mann nach einer kurzen Verhaftung tot hier herumlag, glaubten alle, daß die Polizei ihn umgebracht hat. Seither steigen die nicht mehr aus. Obwohl hier ein paar durchaus polizeibekannte Gangster herumstehen.“ Er weist auf zwei Schwarze in auffallend weißen Anzügen: „Der Linke ist eine Art Capodecina“, sagt er. Im Mafia- und Camorra-Jargon ist das eine Art Scharführer. „Und der daneben soll ein Capomandamento sein“, ein Distriktscapo. Die Organisationen der Schwarzen orientieren sich in ihrem Aufbau weitgehend an denen der Weißen.

„Zum erstenmal habe ich von Bosambo gehört, da war ich noch auf dem Schiff“, erzählt Joseph. „Bei uns würde man ihn Stammesfürst nennen, bei euch wohl Paten.“ Daß er gesetzwidrig handelt, daß er Aufträge zu Schlägereien und Mord gibt, steht für die Menschen hier außer Zweifel; gut zwei Dutzend Personen, Männer wie Frauen, sollen nach Polizeierkenntnissen in der Gegend hier seit Mitte vorigen Jahres bei Bandenkriegen umgekommen sein. „Doch hier braucht es auch eine harte Hand“, sagt Martin verständnisvoll. „Nicht jeder, der hier heimlich einwandert, ist ein frommes Lamm. Viele sind zu Hause schwer kriminell gewesen, manche haben sich für ihre Überfahrt und Einschleusung Tausende von Dollar zusammengeraubt. Wenn man die hier loslegen läßt, gibt's Chaos...“ Dennoch: „Die allermeisten hier sind arme Schweine, ehrliche Häute, die niemandem je etwas zu Leid getan haben. Aber wenn dann Aufträge von Bosambo kommen, führen sie diese doch aus.“ Zudem würden ihnen die Handlanger Bosambos einbleuen, „daß die Schädigung Weißer nur gerecht ist, haben sie doch unseren Ländern soviel Leid zugefügt“.

Aus den Fängen der neapolitanischen Camorra – früher monopolistischer Ausbeuter der Immigranten – haben sich viele Gruppen bereits gelöst. „Die Schwarzen hier sind einfach schon zu viele, als daß ihnen die Camorristen noch Herr werden könnten“, erzählt Martin. Allerdings sind die Immigranten noch nicht ganz so eng wie die Camorristen mit Lokalpolitikern verbandelt. Zu Beamten allerdings gebe es durchaus stablie Kontakte: „Wer Probleme mit der Polizei hat, kriegt über Bosambo Hilfe, wer Papiere braucht, ebenfalls. Wer neue Leute einschleusen will, macht das über Kontakte zu Bosambo. Der schmiert dann die Hafenbehörden.“

Wie viele Leute kommandiert Bosambo? „Schwer zu sagen, an Schlägern vielleicht zwanzig, dreißig. Zuträger, Spione, Leute, die ihm Gefälligkeiten tun, das sind sicher tausend und mehr.“

Dabei ist Bosambo nur einer von vielen farbigen Bossen, die sich hier tummeln. Auch ihre Identität ist den Behörden zumeist nicht bekannt. „Manchmal haben die Polizisten schon solche Anführer verhaftet, ohne zu wissen, daß es die Bosse sind, und dann sind die wieder freigekommen.“ Auf 60 bis 80 Gruppen der „Malavita nera“ schätzt Martin die Stärke der Immigranten-Camorra, „verstreut auf die ganze Regiona Campania“. Die straffsten sind jene, die „auch als Zuhälter- und Drogenringe fungieren, weil die in direkter Konkurrenz zu den Einheimischen stehen und sich mit diesen absprechen müssen. Nach dem Rechtskodex dieser Unterwelt wird jeder noch so kleine Übergriff der gesamten betreffenden Gruppe angelastet, auch wenn es sich nur um das Versehen eines Neulings handelt. Nicht wahr, Johnny?“ Er weist auf einen kleinen, drahtigen Mann, der seit einigen Metern am Krückstock neben uns herhumpelt. Der nickt zurück, lachend: „Mach ich nie wieder“, sagt er. Martin erklärt: „Der hatte fast ein Kilo Heroin in einer Schwimmweste verstaut. Als dann die Hafenpolizei das Schiff geentert hat, ist er ins Wasser gesprungen, hat sich herausziehen lassen – und ist an Land mit der Schwimmweste abgehauen.“ Doch dann habe er den üblichen Fehler gemacht: „Er hat versucht, das Zeug bei den Fischern am Hafen von Pozzuoli abzusetzen. Eine halbe Stunde danach waren sie dann alle hinter ihm her: Polizei, Camorristen, aber auch einer dieser schwarzen Bosse. Doch der Junge war auf Draht, er hat sich die 50 Kilometer bis hierher durchgeschlagen.“ Da wurde er aufgeklärt, daß er sein Zeug schleunigst an Bosambo abzuliefern habe – wogegen er sich erneut wehrte. „Dann kam unvermeidlich die ,rechte Hand‘.“ Daß er dabei nicht ganz totgeschlagen wurde, hängt nach Ansicht Josephs damit zusammen, daß „Bosambo dem zutraut, noch mehr von dem Zeug heranzuschaffen – direkt zu ihm.“ Und so wird Johnny wohl erst mal wieder in die Heimat zurückfahren – sobald ihm der Gips abgenommen wird.

Als die Laster anrumpeln, entsteht Bewegung. Nicht nur, weil alle angeheuert werden wollen, sondern weil gleichzeitig auf der anderen Straßenseite eine Alfetta hält. Als das vordere Fenster heruntergekurbelt wird, guckt „Bosambos rechte Hand“ heraus. Als die Lkw wieder wegfahren, steht gut ein Dutzend Männner noch immer da – kräftige Burschen, denen man Ackerarbeit wohl zutrauen würde. „Ja ja“, lacht Martin, „die haben kapiert, daß sie erst mal warten müssen, weil Bosambo es will. Wenn sie sich fügen, bekommen sie nächste Woche vielleicht einen Job. Oder auch schon heute, wenn es dem großen Herrn beliebt.“ Die Alfetta fährt langsam an. „Bosambos rechte Hand“ kurbelt das Fenster wieder hoch. „Wer weiß“, sinniert Martin, „vielleicht saß Bosambo sogar selbst hinten drin. Bei dem ist alles möglich.“ Vorsichtshalber hat Martin dabei verehrungsvoll seinen Hut abgenommen.