Aus Haß in den Rollstuhl geprügelt

Ein Vietnamese wurde im brandenburgischen Fredersdorf von einem Alkoholiker lebensgefährlich verletzt. Das Opfer, dem das Rückgrat gebrochen wurde, liegt im Koma  ■ Aus Berlin Plutonia Plarre

Um die Ecke des Bahnhofsvorplatzes biegt ein roter VW Polo aus Märkisch-Oderland. Die Frau am Steuer hält suchend Ausschau. Vor der runtergekommenen Lagerhalle kurbelt sie das Fenster herunter und erkundigt sich besorgt: „Sind die Vietnamesen nicht mehr hier?“ Ein Mann in einem dreckigen Jogginganzug deutet stumm auf zwei abseits stehende Gestalten.

Das 6.000 Einwohner zählende Dorf Fredersdorf bei Berlin war am vergangenen Freitag Tatort eines rassistischen Verbrechens. Direkt vor der Lagerhalle, in der die Einwohner ihre Fahrräder abstellen, wenn sie sich mit der S-Bahn zur Arbeit in die Hauptstadt aufmachen, wurde der 42jährige vietnamesische Zigarettenhändler Van Toau P. lebensgefährlich verletzt. Der Angreifer war übermächtig. 1,90 Meter groß, 100 Kilogramm schwer. Gegen den 30jährigen berufslosen Olaf S. hatte der zierliche Asiate keine Chance. „Es war dumpfe Ausländerfeindlichkeit“, ist Staatsanwalt Eugin Larres, überzeugt. Er ermittelt deshalb wegen versuchten Mordes. Olaf S. soll sich zuvor schon häufiger abfällig über Ausländer geäußert haben. Van Toau P. lag gestern immer noch im Koma. Selbst wenn er überlebt, wird er wohl für den Rest seines Lebens an den Rollstuhl gefesselt sein.

Olaf S. gehört zu einer Gruppe von Alkoholikern, die sich in der Fahrradaufbewahrung von morgens bis abends betrinken. Der Vorplatz ist landweit bekannt dafür, daß hier unverzollte Zigaretten zu haben sind. Selbst Kunden aus Berlin stehen hier manchmal Schlange. Van Toau P. stand hier schon seit über einem Jahr. Er und die Alkoholiker kannten sich mit Namen. Auch Olaf S. gehörte zu seinen Stammkunden, „obwohl er einen Haß auf die Ausländer hat“, berichtet einer seiner Saufkumpanen. Die Blumenhändlerin von gegenüber, die aus ihrem Schaufenster genau auf die Fahrradaufbewahrung blicken kann, berichtet anderes: „Die haben die Verstecke der Vietnamesen doch genau gekannt und denen die Zigaretten aus den Erdlöchern geklaut.“ Wegen des Diebstahls der Glimmstengel kam es zwischen den Alkoholikern und den Vietnamesen immer wieder zum Streit. So auch am Tattag. Vergangenen Freitag vormittag stellte Van Toau P. die Deutschen deshalb zur Rede. Nach Angaben von Staatsanwalt Larres verpaßte ihm daraufhin zunächst der 36jährige berufslose Uwe Z. ein paar Faustschläge. Den Rest besorgte der bullige Olaf S. Laut Larres packte er den Händler bei der Hüfte, wirbelte ihn in der Luft herum und stieß ihn kopfüber auf den Steinboden. Van Toau P. brach sich zwei Halswirbel. Olaf S. sitzt seither in Untersuchungshaft. Vor dem Haftrichter soll er erklärt haben, er könne sich aufgrund seines Alkoholkonsums nicht an die Tat erinnern. Außerdem bestreitet er jeglichen Fremdenhaß. Uwe Z. befindet sich wieder auf freiem Fuß, weil ihm ein unmittelbarer Vorsatz nicht nachzuweisen sei. Augenzeugin des Vorfalls ist Van Toau P.s Ehefrau, die bei der Blumenhändlerin den Notarztwagen alarmierte.

Fünf Tage nach dem Vorfall scheinen die Alkoholiker in der Fahrradaufbewahrung ihr Verslein für die Presse schon eingeübt zu haben. „Wir haben nichts gegen die Fidschis. Die sind doch alle immer so lieb und hilfsbereit“, sagt einer und schafft es doch tatsächlich, ein paar Tränen zu zerdrücken. „Mensch Peter, bleib ruhig“, tätschelt ihm ein anderer die Schulter. Der kleine überheizte Raum ist alkoholgeschwängert, gepaart mit einer Mischung aus Fußschweiß und kaltem Rauch. Im Mittagsfernsehprogramm läuft gerade eine Sendung über Hunde. „Ich wollte eingreifen, aber ich konnte dem Fidschi nicht mehr helfen“, erzählt Peter und behauptet, immerhin habe einer der Kumpel den Krankenwagen geholt. Der 49jährige obdachlose Mann mit den rot unterlaufenen Augen und verfilzten Haaren war vor der Wende Friseur in Magdeburg. Seit zwei Jahren passen er und die anderen in dem Lagerhaus auf die Fahrräder auf und verdienen sich damit ein paar Mark.

Die Kunden und Verkäufer in den umliegenden Geschäften scheinen über die Tat ehrlich empört zu sein. „Das ist doch 'ne Schweinerei, was die mit dem Vietnamesen gemacht haben“, schimpft eine Rentnerin. Der Besitzer des Fahrradcenters an der Ecke wünschte sich, die Hälfte der Deutschen wäre so wie die Asiaten. „Dann wäre das Leben herrlich.“ Auf die Besatzung des Fahrradschuppens angesprochen, kommt er richtig in Rage. „Die sind doch alle dumm, arbeitsscheu und versoffen.“ Da drinnen würden doch mehr Räder geklaut als draußen an der S-Bahn.

Die Stelle, an der Van Toau P. und seine Frau handelten, war nicht einen Tag vakant. Zwei junge Vietnamesen haben nun ihren Platz eingenommen. Sie lächeln schüchtern und zucken auf den Vorfall angesprochen hilflos mit den Achseln.