„Virus bavaricus“ in der Brauerei

Bei Bavaria auf St. Pauli herrscht derzeit ungewohnte Ruhe. Viele Mitarbeiter sind zufällig gleichzeitig krank geworden, so daß manche Schichten kaum noch zu besetzen sind  ■ Von Stefanie Winter

Der Laden läuft, im Moment allerdings nicht so wie sonst. Dort, wo vor wenigen Tagen noch ab und zu etwas Bier aus dem nahezu geschlossenen Produktionskreislauftröpfelte, sind die Rinnsale getrocknet. „Wir könnten gewinnbringend produzieren“, sagt Uwe Christensen, „wenn man uns lassen würde.“ Weil das Gegenteil geplant wird, weil in Dortmund „Bänker statt Brauer“ über die Zukunft der Traditionsbrauerei entscheiden und die Produktion gewinnbringend beenden wollen, führt Pensionär Christensen seine Besuchergruppen derzeit durch einen ungewohnt ruhigen Betrieb. So viele Arbeiter seien krank geworden, daß manche Schichten nur schwerlich besetzt werden können, gestern morgen gar nicht. „Virus bavaricus“, sagt Christensen, als erkäre das ja wohl alles.

Im Sudraum, wo normalerweise die Maische in vier Meter durchmessenden Kupferkesseln wabert, sorgt nun allein das von vorbeifahrenden LKWs reflektierte Licht für etwas Bewegung. In Wellen läuft es über die Rückseite des gekachelten Raumes, über Schalter und Displays und Leuchtdioden. „Alles vollautomatisch“, sagt Christensen, keine „Brauerei-Romantik“ mehr wie früher. Die Brauerei gehört zu den modernsten des Getränkekonzerns Brau und Brunnen. 400 Millionen Mark hatte der damals bereits in gleicher Höhe verschuldete Konzern vor knapp zwei Jahren dafür hingeblättert. Eine neue Logistikhalle war gerade zuvor errichtet worden, eine zweite Flaschenabfüllanlage wurde im vergangenen Jahr erst eingeweiht, gemeinsam mit den Leuten aus dem Viertel. Weil deren Nerven schließlich durch die Bauarbeiten monatelang strapaziert worden seien, begründet PR-Assistentin Claudia Zügler die nachbarschaftliche Einladung zum Bier.

Nachbarn bewirtet Karl-Heinz Maack nicht, aber andere Gäste des Hauses – während Konferenzen und Sitzungen oder nach Christensens Führungen durch den Betrieb. Dann fragt er freundlich, wer denn kein Bier möchte. Und bringt allen anderen ein Astra, obwohl er auch Jever im Angebot hat. Und Jever Fun, also ohne, und das bietet er schon eher an und trinkt es auch privat.

Wäre Maack nicht selbst Vertrauensmann, er müßte als Feindbild der Gewerkschaft gelten. Höchstens zwei Wochen Urlaub nehme er am Stück, weil er es länger ohne die Brauerei – „meine Familie“ – nicht aushalten kann. Er wisse schon genau um seine Rechte; aber morgens wache er auf mit dem Gedanken: „Da kannst du gut wieder hingehen heute.“ Ein einziges Mal während seiner nun 30 Jahre bei der Bavaria sei er krank gewesen. Sportunfall.

Als Maack hier als Kfz-Mechaniker anfing, verfügte die Brauerei noch über einen umfangreichen eigenen Fuhrpark. Nicht nur der wurde aufgegeben. Weil der Platz mitten im Wohnviertel beschränkt sei, erläutert Christensen, wird die Gerste nicht mehr im Betrieb gemälzt, sondern bereits als Malz von außerhalb bezogen. Und die Keller, in denen das „Jungbier“ mindestens vier Wochen lagert, reichen vier Etagen ins Erdreich hinab. Die Faß- und Flaschenkeller hingegen befinden sich im ersten und zweiten Stock. Und weil sie immer schon so genannt wurden, heißen sie weiterhin so. Verändert hat sich aber nicht nur ihre Lage im Gebäude. Zahlreiche „einfache“ Arbeitsplätze wurden zu wenigen Aufsichtsposten an Laufbändern modernisiert.

Geblieben sei dennoch das besondere Betriebsklima, sagen nicht nur Maack und Christensen, sondern auch die junge PR-Assistentin Zügler. Ihre kaufmännische Ausbildung hat sie damals – wie jeder Azubi – in der Produktion begonnen. Eine Woche lang, Bier ausfahren inklusive. Damit man überhaupt weiß, wofür man da oben sitzt, sagt sie und meint das Verwaltungsgebäude. Das wurde vor 25 Jahren errichtet, seine Form ist dem klassischen Bierglas nachempfunden. 25jähriges Jubiläum feiern dort derzeit auch zahlreiche Mitarbeiter der Brauerei, im zweiten Stock, bei Maack.