Die Würde des Anwalts ist antastbar

Weil er um die Mordopfer von Mölln trauerte, muß Mülayim Hüseyin um seine Zulassung als Rechtsanwalt bangen  ■ Von Elke Spanner

Von Würde und Anstand sprach der Staatsanwalt. Daß ein „so trauriger Anlaß wie die Überführung von Toten, die von Rechtsradikalen umgebracht wurden, zum Anlaß von Ausschreitungen“ genommen werde, mache ihn betroffen.

Auf Würde und Anstand hatte auch der Jurist Mülayim Hüseyin gehofft, als er im November 1992 auf dem Hamburger Flughafen die Särge der Mordopfer von Mölln verabschieden wollte. Und darauf, „zumindest zu so einem Anlaß nicht als potentiell Krimineller behandelt zu werden“. Statt dessen traf er auf Bereitschaftspolizei und Beamte des Bundesgrenzschutzes (BGS), die ihm den Zugang zur Charterhalle verstellten. Ob er Widerstand geleistet, die BeamtInnen bedroht, beleidigt und verletzt hat, wurde gestern vor dem Landgericht in der Berufungsinstanz verhandelt, das Urteil soll am Dienstag verkündet werden.

Für Mülayim Hüseyin hängt davon seine Zulassung als Rechtsanwalt ab. Als Anwalt ist er ein Organ der Rechtspflege, und dessen muß er laut Zulassungsordnung „würdig“ sein – eine strafrechtliche Verurteilung könnte im Wege stehen. Die Justizbehörde macht keinen Hehl daraus, daß sie Zweifel an der Integrität Hüseyins hegt. Als dieser im Juni 96 die Zulassung beantragte, wurde er vertröstet: Erst mal das Urteil abwarten, hieß es. Die Justizbehörde spielt nicht alleine Schicksal. Zuvor befragt sie routinemäßig die Hanseatische Rechtsanwaltskammer. Und im Fall Mülayim Hüseyin signalisierte diese: Den in unseren Reihen? Nein!

Zu einem konkreten Fall werde er sich nicht äußern, blockt der amtierende Kammer-Geschäftsführer Hartmut Scharmer ab. Allgemein würde die Kammer nur dann Einwände geltend machen, wenn die Vorstrafe eine Beziehung zum Anwaltsberuf aufweise. Wer zum Beispiel wegen Unterschlagung verurteilt sei, dürfe nicht als Anwalt über Mandantengelder verfügen. Worin die spezifische Unwürdigkeit als Anwalt liegen soll, wenn jemand anläßlich einer Trauerfeier mit der Polizei aneinandergerät, dazu äußerte sich Scharmer nicht.

So scheint es am Gericht zu hängen, was aus der Zukunft des Juristen Mülayim Hüseyin wird. Die Staatsanwaltschaft forderte in ihrem Plädoyer die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen a 50 Mark. Hüseyins Rechtsanwältin Ursula Erhardt zeigte sich optimistisch, daß ihr Mandant selbst bei einer solchen Verurteilung auf eine berufliche Zukunft als Rechtsanwalt hoffen darf. Eine kritische Grenze könnte eine Verurteilung zu 90 Tagessätzen sein: Ab dann gilt jemand als vorbestraft.

Ob Verurteilung oder Freispruch: Die Entscheidung über die „Würde“ eines Rechtsanwalts ist eine Frage des Ermessens. Der Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger mußte nie um seine Zulassung bangen – obwohl er nicht nur stadtbekannt ist als Rechtsradikaler, sondern vergangenen November wegen der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole zu 120 Tagessätzen verurteilt wurde.