Auch in der Krise reifen kühne Großmarkt-Pläne

■ Rainer Lademann soll im Auftrag des Kommunalverbundes Licht in den Wildwuchs des Einzelhandels in der Region bringen. Ein Gespräch über Bremer Versäumnisse, kühne Projekte und die Konkurrenz zur grünen Wiese

taz: In Bremen und dem Umland wird zur Zeit sehr viel über neue Einkaufszentren und Ladenpassagen gererdet. Offenbar gibt es einen ziemlichen Ansiedlungsdruck. Woher kommt das Geld für diese Projekte und warum will es gerade in diese Region?

Rainer Lademann: Der Ansiedlungsdruck ist aktuell in 1997 sicherlich wesentlich zurückgegangen. Es gibt allerdings immer noch Vorhaben, die bekannt sind und die sicherlich kommen werden wie das Lürssen-Gelände in Vegesack. Die stammen aus älteren Entwicklungen. Lürssen kommt sicherlich daher, weil aus Bremen-Nord eine erheblich Nachfrage in das niedersächsische Umland oder auch in den übrigen Bereich der Stadt Bremen fließt. Ein Teil des Ansiedlungsdruckes erklärt sich durch Defizite, die an bestimmten Standorten bestehen.

Es ist also nicht so, daß jetzt Geld, das früher im Osten in Einkaufszentren auf der grünen Wiese investiert wurde jetzt zurückfließt, nachdem sich die steuerlichen Rahmenbedingungen geändert haben?

Das spielt auch eine Rolle. Aber im Raume Bremen einschließlich der Stadt hat sich in der Vergangenheit die Verkaufsfläche des Einzelhandels sowieso recht kontinuierlich entwickelt und zwar leicht über dem Bundesdurchschnitt. Hier hat es keine Investitionszurückhaltung von Seiten des Handels gegeben in Folge der Deutschen Einheit.

Sicherlich gibt es jetzt aber neue Impulse. Wir haben freiwerdendes Kapital aber auch freiwerdende Management-Kapazitäten. Die Manager waren in der Tat über Jahre in den neuen Ländern und suchen jetzt neue Projekte.

Wie schätzen Sie den Bestand an Einzelhandelsflächen etwa in der Region ein?

Der Markt rund um Bremen gilt als schwieriger Markt. Es existiert ein relativ hoher Wettbewerbsdruck, die Renditen dürften etwas unterdurchschnittlich sein. Allerdings ist es nicht so, daß ein auffälliger Überbesatz zu konstatieren ist. In der Vergangenheit hat die Gesamtregion Bremen/Oldenburg, jetzt mal nicht gefragt welcher Standort, ihre Sogkraft auf das weitere Umland außerhalb des Kommunalverbundes gesteigert. Die Flächenexpansion hat sich auch dadurch ökonomisch ein bißchen gerechnet, daß man erfolgreich war in der Fernwirkung.

Die Leute kommen aus Hamburg oder Osnabrück zu Dodenhof....

Völlig richtig. Richtung Hannover runter sind ja große Gebiete, die die die Bremer Region anfahren. Andersherum hat Oldenburg Auswirkungen bis an die holländische Grenze oder bis nach Groningen.

Bremen kriegt davon wenig ab....

Das Umland ist wesentlich schneller gewachsen als die Stadt. Dort sind, und das kann man auch an wenigen Standorten festmachen wie Ottersberg, also Dodenhof, gegebenenfalls auch noch Ritterhude, Flächen entstanden, die eben nicht nur im Baumarkt- und Möbelbereich lagen, sondern auch in dem, was klassischerweise als innenstadtrelevante Sortimente bezeichnet wird.

Obwohl auch Bremen mitgewachsen ist im Einzelhandel, hat das Wachstum nicht ausgereicht, um gegen diese überbordende Entwicklung im Umland gegenzuhalten.

Woran liegt es denn, daß die Bremer City für die Kunden aus dem Umland eine relativ geringe Anziehungskraft hat?

Ein Teil davon ist historisch bedingt. Und die Innenstadt ist viel zu klein. Bremen hat zum Beispiel im Altstadtkern rund 350 Läden. Und das als Stadt mit über 500.000 Einwohnern. In Göttingen, 130.000 Einwohner, davon 30.000 Studenten, gibt es in der Innenstadt allein 550 Läden.

Der Flächen- und Umsatzanteil der Bremer Innenstadt ist nur 25 Prozent von dem Gesamtumsatz in der Stadt und üblich und durchschnittlich sind 35 bis 40 Prozent.

Nun ist die Innenstadt ja größer als nur das Konsum-L Sögestraße/Obernstraße. Wenn man sich aber innenstadtnahe Quartiere anguckt, wie das Faulenquartier und die Gegend nördlich des Brill, die sind tot. Wurde da nicht versäumt, die Innenstadt auch in ihrer Funktion auszuweiten?

Die einzelnen Ursachen, warum das planerisch nicht gelaufen ist, kenne ich nicht. Aber in Bremen hat man sich nie besonders stark auf das Umland ausgerichtet. Die Stadt hat sich immer mehr oder weniger autark verstanden – wirtschaftlich und auch wirtschaftspolitisch. Insofern ist ein Teil der fehlenden Entwicklung in der Innenstadt sicher auch Folge einer mangelnden Verankerung im Umland.

Wie kam es denn, daß sich die großen Zentren im Umland angesiedelt haben und nicht in Bremen?

Das hat etwas mit Planungsgeschwindigkeit zu tun, die einfach auf der grünen Wiese wesentlich schneller abläuft als in einer komplexen Stadt. Eine ganze Zeit lang wurde aber auch der strukturelle Wandel im Einzelhandel von Bremen aus nicht unterstützt, planerisch abgesichert oder aufgegriffen.

Was heißt das konkret?

Daß man bestimmte großflächige Entwicklungen im Stadtgebiet verhindert hat.

Was wäre so eine großflächige Entwicklung?

Nehmen wir das Beispiel Ratio in Stuhr. Der hat insgesamt 20.000 Quadratmeter Verkaufsfläche. Seinerzeit, Anfang der siebziger Jahre, hat man in Bremen darum gerungen, 400-Quadratmeter-Märkte zu verhindern. Folge ist, daß man in den Nebenzentren und eigentlich im ganzen Stadtgebiet kleinteilige Strukturen ohne sogkräftigen Mag-netbetriebe hatte und die ganz großen Einheiten ins Umland gedrängt hat. Nicht gedrängt, da gehören immer zwei dazu. Aber man hat sie nicht zugelassen, und im Umland gab es Leute die sie mit Kußhand genommen haben.

Es wird ja immer viel über die Erreichbarkeit der City geredet. Ist die denn wirklich so schlecht?

Mein persönlicher Eindruck ist, daß man die Innenstadt hervorragend erreichen kann. Daß die Leute nicht kommen, liegt an der fehlenden Attraktivität.

Um Attraktivität zu steigern braucht man mehr als nur Läden. Wie steht es mit Kultur oder Gastronomie? Kennen Sie da konkrete Vorhaben?

Bremen muß sowohl in der qualitativen als auch in der quantitativen Ausstattung – also mehr Fläche, mehr Leben, mehr Vielfalt erzeugen und mehr Qualität. Was fehlt, sind moderne innenstadttypische Einzelhandelsimmobilienwie zum Beispiel Passagen oder interessant gemachte Shopping-Center, die ein Gemisch an Nutzungen unter einem Dach bringen. Der Einzelhandel ist sozusagen parzelliert an diesem Konsum-L entlang der Sögestraße und der Obernstraße und dazu noch ein bißchen die Knochenhauer Straße. Diese wenigen Lagen sind extrem teuer, im Verhältnis zum Bundesdurchschnitt.

Können Sie da Zahlen sagen?

Bremen ist sicherlich runtergegangen in Größenordnungen von 250 Mark bei der Neuvermietung, aber es gibt aus der alten Zeit, noch Verträge über 350 Mark. Da gehörte Bremen zu den Top-Standorten, was die Kernlage, die 1a-Lage angeht, dahinter war nichts. Es fehlt die Angebotsbreite.

Wir haben eine Innenstadt, die funktional zu stark getrennt ist. Wir haben ein Bankenviertel, ein Justizviertel, ein touristisches Viertel, sprich den Schnoor ...

...und das Ostertor als Kneipenviertel...

Ja. Und dann gibt es eben die Handelsstrecke. Man kann nicht sagen, ich geh einkaufen und wenn ich mal eine Pause machen will, dann setze ich mich irgendwo hin. Dann muß ich erst unheimliche Wege antreten, um zum Marktplatz zu kommen, weil da ein schönes Café ist.

Das muß unbedingt verbessert werden. Und das kann man machen durch interessante Einzelhandelsimmobilien, die nicht nur ein Mono-Konzept haben, sondern selbst multifunktional ausgerichtet sind. Passagen sind solche Ansätze, eine ordentliche Verknüpfung und Vernetzung entstehen zu lassen.

Nochmal zu den konkreten Projekten: Bahnhofsvorplatz, Polizeihaus, Postamt 5, Martinistraße als Boulevard undsoweiter. Haben diese Projekte eine Chance als Einzelhandelsstandorte?

Bei der Entwicklung dieser Vorhaben muß man eine gewisse Priorität verfolgen. Alle zugleich auf den Markt zu bringen, wird ausgesprochen schwierig sein, da würde die Nachfrage auf einen Schlag nicht ausreichen. Ob man von Seiten der Stadt steuern kann, welches Projekt wann zu entwickeln ist, das ist schwierig.

Das Postamt 5 gehört der Post und wenn die einen Käufer findet, dann wird man die Entwicklung zuerst in diesem Bereich haben. Und wenn Bremen sein Polizeihaus verkauft, hat man vielleicht den ersten Impuls an der Stelle.

Als Einzelhandelsstandort drängt sich natürlich der Bahnhofsvorplatz auf. Da ist Frequenz. Es gibt einen angenommenen Trampelpfad vom Bahnhof in die Innenstadt, da kommt man automatisch vorbei. Um so einen Standort muß man sich keine Sorgen machen, wenngleich es immer noch auf den konkreten Mix ankommt, auf die Positionierung der Läden und auf die Gesamtfläche. Es wird da um eine oder zwei Etagen für Einzelhandel gehen können und dann auch nur um die, die in einer günstigen Lauflinie erschließbar sind.

Aber Selbstläufer sind diese Flächen nicht, angesichts einer schrumpfenden Kaufkraft.

Wie sieht es mit Polizeihaus oder Postamt 5 aus?

Die können sicherlich als Einzelhandelsstandorte nur eine spezielle Funktion übernehmen, weil sie noch nicht eingebunden sind in einen natürlichen Frequenzstrom von Passanten. Bei der Polizei wird man nur Handelsflächen entwickeln können, die für sich selber aus der lokalen Verankerung des Gebäudes oder aus den Nutzungen, die im Gebäude selber sind, tragfähig sind. Man hat hier begrenzt Möglichkeiten, etwas zu entwickeln, weil es auch gebäudetechnisch anspruchsvoll ist.

Wäre eine Bibliothek denkbar?

Sie müssen sehen, ob die Leute, die Sie anziehen, mit den anderen Nutzungen zusammenpassen. Wenn Sie nur Schüler in der Bibliothek haben, dann kaufen die in teuren Geschäften wohl eher nichts ein. Anders ist das mit Büros oder einem Hotelbetrieb.

Sie brauchen nicht nur jemand, der die Flächen voll macht, sondern es muß aus einem Guß entwickelt werden. Dann schaffen Sie ein Dreieck Kunsthalle, Schnoor und einen Treffpunkt in einer interessanten Immobilie.

Aber das ist schwierig...

Ja, hier werden spezielle Projektentwickler gefordert sein. Aber grundsätzlich gilt: Wir haben mit Polizeihaus, Postamt 5, Postamt 1 an der Domsheide oder auch dem Telekom-Gebäude, Immobilien, die sehr schön die bisherige Entwicklung der Innenstadt arrondieren helfen.

Sie setzen dort an, wo die jetzige Einzelhandelsentwicklung der Innenstadt aufhört. Am Postamt eins an der Domsheide, das ist ein hochfrequentierter Umsteigepunkt, das kann ein wichtiger Baustein sein, um nachher auch das Polizeihaus in eine Laufbeziehung bis ins Ostertor weiterzuentwickeln. Man darf keine Insellage schaffen. Es muß eine Art Zwiebelstrategie geben, eine Ergänzung der bisherigen Einzelhandelslagen um weiter Standorte, die sich anlagern, so daß ich die Frequenz, die da schon ist, in mein neues Objekt ziehen kann.

Nun ist der gesamte Markt im Einzelhandel ja ein stagnierender Markt. Jede Neuansiedlung geht doch auf Kosten des Vorhandenen, das ist doch für die Region ein Nullsummenspiel.

Darum müssen wir ja eine Moderation über Neuansiedlungen hinkriegen. Das ist auch letztlich im Interesse der einzelnen Gemeinden, ein Flächen-Wettrüsten nutzt niemandem.

Es ist ja schon soweit, daß Neuansiedlungen in der Region Soltau/Walsrode damit begründet werden, daß die Leute sonst zum Dodenhof fahren. Oder bei Hamburg, in Harburg oder Buchholz, wird gesagt, wir müssen jetzt noch einen Möbelmarkt haben, damit die Kaufkraft nicht zu Dodenhof fließt. Letztlich werden die Flächen so aber unattraktiv und unrentabel. Wer soll das bezahlen?

Wird es demnächst Geistermärkte geben, wenn unrentable Flächen aufgegeben werden?

Es ist schwierig geworden, im Handel Geld zu verdienen. Insofern kann es durchaus bei ungehindertem weiterem Wachstumsmöglich sein, daß es in Einzelfällen dazu kommt. Aber einen flächenhaften Verfall einzelner Zentren oder ganzer Standorte halte ich für ausgeschlossen zur Zeit. Wir reden jetzt über den Status quo, über 4,6 Millionen Arbeitslose, was schlimm genug ist.

Aber solange sich das nicht weiter zuspitzt, und dann müssen wir sowieso über ganz andere Dinge reden. Wenn alles zusammenbricht, dann ist der Handel mit dabei.

Fragen: Joachim Fahrun