Neue Lichter der Großstadt

Der deutsche Film zeigt Berlin als Kulisse zumeist noch hochglänzend oder mauermäßig. Die Regisseure tun sich schwer, die Großstadt in Szene zu setzen  ■ Von Rolf Lautenschläger

Manchmal ist Berlin im Film immer noch nicht mehr als eine Hochglanzbroschüre. Als Lara aus dem bayerischen Dorf in die Großstadt kommt, wird sie von ihrer Tante in den BMW gesetzt und durch das Brandenburger Tor geschleust. Beide lachen, trinken Sekt auf die deutsche Einheit und klettern auf Verkehrsschilder am Pariser Platz. Später brettern sie den Kiez der nächtlich-bunten Oranienstraße entlang, nehmen tags darauf ein bißchen Grunewald mit, und irgendwann landet Lara im Café „Kranzler“. Dort ißt sie Eis mit ihrer kleinen Schwester, während sich drunten der Großstadtverkehr auf dem Kurfürstendamm weiterschiebt.

Und um das Berlin-Panorama vollzumachen, läßt die Regisseurin Caroline Link die Protagonistin Lara im Film „Jenseits der Stille“ noch vor dem Kunsthaus Tacheles tanzen: Berlin ist super, schräg und bollemäßig. Nur draußen, wenn du aus dem Kino kommst, scheint alles anders. Die Großstadt brummt laut, Preßluft hämmert am Potsdamer Platz, Obdachlose liegen auf der Straße, und dann und wann begegnet Dir ein alter Freund, der zugleich ein Stadtneurotiker ist.

Daß sich Hauptstadt im neuen deutschen Film weder mit Woddy Allens Manhattan-Bildern oder Wayne Wangs („Smoke“) New York noch mit dem flirrenden Paris von François Truffaut oder Louis Malle messen kann, ist leidlich bekannt. Die Ausnahmen bestätigen die Regel: Nach Wim Wenders' Kultstreifen „Der Himmel über Berlin“, der noch die westliche Idylle aus Sektorengrenze, Brandmauern und Trümmergrundstücken in Szene setzte, oder Konrad Wolfs „Solo Sunny“, in dem die Ostberliner Aufbruchstimmung der siebziger Jahre herüberflimmerte, gelang es nur Dani Levi mit „Stille Nacht“ (1995) und Jens Becker mit „Adamski“, die Nachwendezeit als Kulisse sich verändernder Lebens- und Stadtstrukturen abzutasten.

Sicher, die Drehorte spiegeln nach wie vor ein romantisierendes Bild der ost-westlichen City, meint der Kameramann Lasse Hensch. Das Objektiv fange zwar die marode Intimität in Prenzlauer Berg, den kühlen Alexanderplatz oder die rauchige Kneipe in Kreuzberg ein – aber das sei „zu schön“. Wie Wong Kar-Wai etwa den brodelnden exzessiven Moloch Hongkong in „Fallen Angels“ (1995) filme – schnell und realistisch, brutal und kalt –, traue sich hier keiner. „Berlin, wo es stinkt, brüchig wird oder avantgardistisch ist, fließt kaum in ein Drehbuch ein. Die Autoren zehren noch vom alternativen Hinterhofmythos der Mauerzeit mit ein paar Punks oder Junkies als Freaks.“

Das „Metropolis“ von Fritz Lang und der „Alexanderplatz“ aus den zwanziger und dreißiger Jahren bleiben zwar Erinnerung. Doch immerhin, es tut sich etwas – wenn auch zaghaft – in der Filmstadt Berlin. Jens Steinbrenner vom Filmboard Berlin/Brandenburg zählt aus dem hohlen Bauch gleich zwanzig Kinoproduktionen auf, in denen die Stadt Kulisse mimt. „Ex“ von Mark Schlichter und der Thriller „Der kalte Finger“ seien Anfänge, das neue Berlin als Hintergrund zu inszenieren.

„In Still Movin“ von Niki Stein oder bei dem Regisseur Dietmar Klein („King of Evergreen“) spiele die Stadt immer mit und auch in „Flirt“ von Hal Hartley oder in „Küß mich“ (1995) von Marlies Pfeiffer laufen die Protagonisten über die Großstadtstraßen.

Es gebe die „Tendenz“, so Steinbrenner, „daß die Stadt wieder ins Zentrum rückt und vielfältige Schauplätze und Drehorte ausgewählt werden“. Dennoch, räumt Steinbrenner ein, gelte der „Schauplatz Berlin“ nicht als „Entscheidungskriterium für die Vergabe von Fördermitteln des Filmboards“. Die rund 25 Millionen Mark, die Berlin und Brandenburg an Regisseure sowie Produzenten vergeben – ein lächerlich geringer Betrag, wie Steinbrenner findet –, seien „Wirtschaftsförderung“. Was bedeutet, daß das Geld in der Region ausgegeben werden muß für Studios, Beleuchtungen, Kopierwerke, Schneideräume, den Vertrieb und ähnliches. Ästhetische Aspekte seien eher marginal. Steinbrenner: „Wenn sie dabei sind, ist es um so besser.“

Auch Wolfgang Fritsche, früher im Vorstand des Berliner Film- Wirtschaftsverbandes, sieht den Drehort Berlin noch nicht im Zentrum der Filmkulisse. Die Themen seien eher „heterogen“. Fritsche fordert von den Autoren und Förderanstalten, mehr Mut für die Realität der Stadt zu zeigen. Die veränderten Strukturen benötigten einen Neorealismus, einen direkteren Blick auf die Stadt szene.

Wolfgang Becker hat sich deshalb vorgewagt. Sein neuer Film, „Das Leben ist eine Baustelle“, der auf der diesjährigen Berlinale als deutscher Beitrag in das Programm genommen wurde, sucht die symbolische Verbindung von städtischer Wirklichkeit und dem Innenleben seiner Figuren. Großstadt wird Spiegel. Die Personen reflektieren sich darin.