„Europa hat den Anschluß verloren“

■ Interview mit Kenneth Courtis, Chefvolkswirt der Deutschen Bank in Asien, über den „Finanztango“ der großen Zwei, USA und Japan. „Europa muß sich wieder einmischen“

taz: Warum ist die aktuelle Yen- Schwäche auf den Devisenmärkten eigentlich nur ein Randthema für die G-7-Finanzminister?

Kenneth CourtisSie ist es zu Unrecht. Ich habe gerade mit den Vorstandschefs von General Electric und General Motors gesprochen, die fürchten beide den gegenwärtigen Yen-Kurs. Und die großen japanischen Konzernen stehen heute besser da als je zuvor. Ein Unternehmen wie Toyota verfügt mit 27 Milliarden Dollar über das Dreifache an Kapitalreserven wie Microsoft. Die Autozulieferer haben in Japan ihre Kosten innerhalb von fünf Jahren um 48 Prozent reduziert. In den nächsten sechs Jahren wollen sie die Kosten noch einmal um 60 Prozent runterfahren. Und das Beispiel ist repräsentativ für alle Exportbranchen.

Operiert ein Unternehmen wie Toyota nicht heute so global, daß es sich kaum mehr als japanisches Unternehmen verstehen läßt und damit auch vom billigen Yen nicht in dem Maße profitiert wie früher?

Nein. Es gibt keine globalen Konzerne, die nationaler sind als die japanischen. Toyota hat wie viele andere in Japan mit einem Dollarkurs von 90 Yen gerechnet und streicht jetzt den Überschuß, den die Wechselkurse jetzt bringen, als Profit ein. Ein Dollarkurs zwischen 110 und 130 Yen ist für Japan wie ein heißes Bad.

Was können die Europäer gegen diesen Trend unternehmen?

Gegen einen Yen, der heute gegenüber der Mark 25 Prozent schwächer ist als vor zwei Jahren, wird es für die Europäer sehr schwierig, ihre Positionen zu halten. Aber wer heute in Europa Autos für den amerikanischen oder anderen Markt herstellt, hat es mit einem ungeheuren Wettbewerbsvorteil Japans zu tun. Deshalb sollte Europa seine Währungsinteressen besser verteidigen.

Die deutsche Bundesregierung setzt zu diesem Zweck auf die Einführung des Euro als Gegengewicht zu Dollar und Yen.

Vielleicht ist das der richtige Weg, um Europa währungspolitisch wieder Gehör zu verschaffen. Franc, Pfund und Mark sind vielleicht zu kleine Währungen. Derzeit sehe ich allerdings keine G-7- Gruppe und nicht einmal eine G-3- Gruppe [USA, Japan, Deutschland, d. R.] mehr, sondern nur noch eine G 2. Europa ist das dritte Rad von einem Fahrrad. Die Entscheidung, den Yen zu schwächen, wurde 1995 ausschließlich zwischen diesen beiden Ländern abgestimmt. Die G-7-Gruppe ähnelt heute bereits einem Forum, auf dem Tokio und Washington ihre Entscheidungen verkünden und die anderen um ihr Einverständnis bitten.

Wie erklären Sie den europäischen Einflußverlust?

Europa konzentriert sich so auf den Euro und die Arbeitslosigkeit, daß einige Leute den Anschluß an das verpaßt haben, was in der Weltwirtschaft wirklich passiert. Vor allem aber sehen die Europäer nicht, daß sich die finanzpolitische Zusammenarbeit zwischen Japan und den USA so intensiviert hat, daß sie alles andere überschattet. Europa muß sich einmischen und seine Interessen in der Welt verständlich machen, sonst fallen die echten Entscheidungen zwischen Tokio und Washington.

Mit diesem niedrigen Yen-Kurs wird der japanische Handelsüberschuß gegenüber den USA steigen. Warum läßt sich Washington das gefallen?

Als der Dollar 1995 nur noch 80 Yen wert war, dachte man, er könnte auf 50 Yen fallen. Diese Situation drohte das fragile Tokioter Bankensystem zu sprengen. Die Krisengefahr aber lag nicht darin, daß Toyotas Überleben in Gefahr war, sondern daß die Japaner ihr Geld aus der Weltwirtschaft zurückziehen würden. Das hätte die Zinssätze weltweit dramatisch nach oben gedrückt und eine globale Finanzkrise ausgelöst. Andererseits wurde die heutige Situation genauso durch die dramatische Haushaltslage in den USA ausgelöst. Alles in allem tanzen Tokio und Washington den großen Finanztango, und Europa schaut zu. Interview: Georg Blume