■ Der „HO 1“
: Wesentliches betont

„Beim Abschütteln ist's unpraktischer als mit dem alten Schlitz“, sagt mein Model. „Aber um sie rauszuholen (auf Französisch ist er weiblich: la verge ; die Red.), ist der Slip richtig konstruktiert: Statt das Gummiband unterzuschieben, fummle ich sie einfach hoch.“

Sie ist in dem neuen Kleidungsstück mit dem horizontalen Schlitz in einem kleinen runden Täschchen untergebracht, zusammen mit den bijoux de famille, dem Familienschmuck, wie die Franzosen die Hoden nennen. Im Profil macht die erhebende der doppelten Naht unten herum einen plastischen Eindruck. Lustig ist auch, wenn sie in die Länge geht und vorwitzig über den oberen Taschenrand lugt – wie ein kleines Känguru im großen.

Vielleicht haben die Designer des Marseiller Unterwäscheherstellers HOM, die den „HO 1“ entwarfen, sich tatsächlich von der australischen Tierwelt inspirieren lassen. Auf jeden Fall aber haben sie aus den Hebetechniken für weibliche Silhouetten gelernt – von den alten „Falsis“ über die Metallbügel bis hin zum „Wonderbra“. Mit dem Unterschied, daß der Männerslip aus Marseille dank einer modernen Mischung aus Natur- und Kunstfasern weder Schaumstoffeinlagen noch Metallverstärkungen braucht.

Nach den Jahren der Minislips ohne Schlitz und der Boxershorts, die nicht die geringste Façon haben, kommt damit ein sowohl tragendes als auch kanalisierendes Kleidungsstück auf den Männerunterwäschemarkt. Der neue Horizontale betont das Wesentliche und ist zugleich einfarbig schlicht, was nach der Herzchen-, Mäuschen- und Blümchenmusterinflation eine Erholung für die Sinne ist. Oben beginnt er kurz unter dem Bauchnabel – fast so hoch, wie die Doppelrippunterhosen unserer Väter. Unten ragt er ein paar Zentimeter in den Oberschenkelbereich hinein. Im Gegensatz zu den Nachkriegsmodellen, die bisweilen Zeltgröße hatten und luftig flatterten, ist der neue Slip anschmiegsam wie eine zweite Haut.

Für Wohlbeleibte, die ihre Rundungen gern über viel zu winzige Slips fallen lassen oder sich in überdimensionierten Boxershorts zu verstecken suchen, ist so etwas Hautenges, das natürlich nicht kneifen und einquetschen darf, allemal vorteilhafter. Immer vorausgesetzt, Mann zieht den Slip nicht mit einem Ruck mit der Hose vom Leib oder knipst das Licht aus, bevor er sich der Unterwäsche entledigt. Bei Designerslips wäre so ein Verhalten die reinste Verschwendung – nicht nur wegen ihrer stattlichen Preise – der „HO 1“ soll umgerechnet etwa 48 Mark kosten –, sondern auch, weil sie in der Regel zum Auspacken einladen.

Außer den Marseiller Designern haben in den letzten Jahren so gut wie alle Modemacher den Markt für Männerdessous entdeckt. Von Yves Klein angefangen, über Armani und Joop bis hin zu dem erst kürzlich mit einer eigenen Kollektion in das Geschäft mit dem männlichen Unterleib eingestiegene Extennisstar Björn Borg und dem Skifahrer Alberto Tomba. Die Zeit der alten Unterhose ist damit aber nicht unbedingt zu Ende. Schon aus praktischen Gründen. Mann ist halt daran gewöhnt, sie mit einem Griff herauszuholen, ohne sich erst umständlich durch vertikale Reißverschlüsse und horizontale Schlitze zu fummeln. Dorothea Hahn, Paris