Hochfliegend

■ Jahreshauptversammlung des FC St. Pauli: Ausbaupläne für Stadion am Millerntor vorgestellt, Fans begeistert

Einigen kamen die Tränen der Rührung, manche waren vor Freude ganz außer sich. „Ist ja geil“, hatten die Fans des FC St. Pauli das neue Stadion sofort in ihr Herz geschlossen. Daß es nur ein Modell war, störte die braun-weißen Anhänger nicht. Sie richteten sich schon jetzt häuslich ein – im Geiste. Doch auch die ersten Probleme taten sich auf. „Wo kommen denn die Gäste-Fans hin?“ oder „Von meiner Stammkneipe aus ist der Weg jetzt aber viel weiter – egal, macht nichts.“ Die Fans sind anscheinend bereit, Opfer zu bringen.

In punkto ihrer geliebten Stehplätze mußten die St.-Paulianer („Sitzen is' für'n Arsch“) nicht zurückstecken. Von den etwa 35 000 Besuchern werden 19 000 stehen können. Alle Plätze werden überdacht sein. Bislang bietet das pro Jahr anderthalb Millionen Mark an Instandhaltungskosten verschlingende Wilhelm-Koch-Stadion 20 725 Besuchern Platz – bei lediglich 5 000 Sitzplätzen.

„Die Zeit der Provisorien“ sei nun vorbei, sagte Reinhard Kock bei der mit euphorischen „Aaahs“ und staunenden „Ooohs“ begleiteten Vorstellung der Pläne auf der Jahreshauptversammlung Freitag abend im CCH. „Der Entwurf ist heute innovativ und morgen konkurrenzfähig“, bewertete der Architekt aus dem Büro Weisener das eigene 65-Millionen-Mark-Projekt. Auch nach dem Ausbau der heimischen Spielstätte solle, so Kock, der früher selbst am Millerntor als Profi kickte, „die Hexenkessel-Atmosphäre“ erhalten bleiben. „Es wird ein Ort mit spirituellem Charakter.“

Als besonderen Clou empfindet der Chefplaner die Dachkonstruktion: Bei Bedarf kann mit Polyester-Bahnen das ganze Stadion abgedeckt werden, so daß eine Art Halle entsteht. Dazu werden Kunststoff-Bahnen in 30 Metern Höhe quer über die Arena gespannt – mit Hilfe von acht bis zehn Zentimeter dicken Stahlseilen, die an 22 Stahlmasten, „Pylonen“ genannt, befestigt sind.

„Ich bin sicher, daß wir noch 1997 mit dem Bau beginnen werden“, verkündete Präsident Heinz Weisener, der in seiner Rede noch einmal betont hatte, daß ein eigenes modernes Stadion zum wirtschaftlichen Überleben notwendig sei. Das Volksparkstadion sei für seinen FC keine Alternative: „Das ist nicht die Heimat des St.-Paulianers.“ Man könne „einem hungrigen Fisch nicht sagen: Geh an Land, da gibt es genug zu fressen. Ein Fisch lebt nun mal im Wasser“, bemühte der 68jährige Clubchef ein Bild aus dem Tierreich.

Damit das Projekt nicht vor die Hunde geht, will Weisener eine Betreibergesellschaft mit der Vermarktung des Stadions beauftragen: „So wenig wie möglich Risiko für den Verein und so viel Nutzen.“ Im übrigen sei der Erfolg unabhängig vom sportlichen Erfolg des FC St. Pauli: „Wenn die Rechnung nicht in der zweiten Liga aufgeht, darf man nicht bauen.“

Daß ihm die Bezirkspolitiker die Erfüllung seines Traumes verwehren könnten (siehe Interview unten), glaubt Weisener nicht: „Wir sind in unserem Verhältnis zu den Behörden wesentlich weiter gekommen.“ Zudem, betonte Kock, habe man „auf die Wohnsituation geachtet und die Anwohner in die Planungen integriert.“

Schon nach anderthalb Jahren Bauzeit, während derer der Spielbetrieb weiterläuft, könne die neue Arena am Millerntor eingeweiht werden. „Der Entwurf erinnert an fliegende Bauten“, meint Reinhard Kock. Mal sehen, ob der Vogel wirklich abhebt oder ob es eine Bauchlandung wird.

Clemens Gerlach