Am schlichten Dasein geknibbelt

■ Dynamisch harmlos: Puck Oosthoek inszeniert „Leonce und Lena“ im Altonaer Theater

Die Bühne sieht wie ein Bild von Magritte aus. Ein Irgendwo-Platz, vor einem vagen Himmel, an dem die Gegenwart auf der Stelle zu treten scheint. Er gibt die rechte Kulisse für die Wüstenruhe vor dem Sturm ab, ist aber auch universell verwendbarer Hintergrund für ein Puppenspiel, und so soll es dann am Ende von Büchners Lustspiel Leonce und Lena ja auch kommen.

Und während der Maler auf einer Leiter am Bühnenrand steht, pinselt und die Zeit verstreicht, tritt stumm Königssohn Leonce (Marc Letzig) nach vorne, hält sich eine Pistole an die Schläfe und drückt doch nicht ab. Lieber jammert er, maßlos gekränkt von den Zumutungen des Müßiggangs und anmaßend schwätzend über den Rest der Welt. Zeitgleich mit dem Gemüt des Königssohns scheinen sich die Utopien dieser Welt melancholisch zu verschatten.

Auch Leonces Vater philosophiert gerne über alle schwarzen Löcher der Erkenntnistheorien hinweg. Er plündert bei Spinoza und Hegel und legt sich beim Ankleiden die Fremd-Zitate falsch herum auf die eigene Zunge. Und sein pappköpfiger Staatsrat nickt stumm im Takt des Rezitativs. Dann, als der König mit Fichte beschließt „ich bin ich“, ist zumindest eines klar: Leonce soll zum Wohle der Reichskassen die Königstochter Lena ehelichen. Die Verkuppelten fliehen vor dem zugedachten Anderen und fallen sich als Verliebte ahnungslos doch in die Arme. Lena (Maria Fuchs), die unreflektiert aber gern am Dasein knabbert, braucht die Dramatik eines geträumten Todes, um das Glück des Augenblicks zu würdigen. Und gäbe es nicht den Zyniker Valerio (Karsten Laske), die beiden würden sich nach aller „Leutnantsromantik“ im Fluß versenken. Als Automaten-Puppen verheiraten sie sich trotzig. Doch die vermeintliche Rebellion gegen materialistische Mechanik und unverschämten Herscherwillen gipfelt in dessen völliger Erfüllung. Die verbotene Liebe wird legal und damit beschränkt und unromatisch.

Immer wieder ist es das malträtierte Sprachmaterial, aus dem Bücheners Protagonisten komische Funken schlagen. Verhunzte Klischees reiben sich sprühend aneinander, bis der Sprachwitz die Alkteure wieder ins freudlose Leben entläßt. Unter der dynamischen Regie von Puck Oosthoek vollführen sie dazu nicht ohne Anmut eine Reihe sinnloser Tätigkeiten. Mit leerer Fröhlichkeit gehen sie ihrer Beschäftigung oder Langeweile nach. Das ist die Gesellschaft in der Totalen, der die Arbeit ausgegangen ist und die sich mit Geschäftigkeit darüber tröstet, daß es nichts mehr zu tun gibt. Das könnte es wenigstens werden. Doch die Inszenierung ist leicht, pointenreich, in jedem Fall aber harmlos. Sie filtert aus den virulenten Textpassagen eine Mimikry von bürgerlichem Lachtheater heraus. Wenn die zweiköpfige Masse im Kreis läuft, mit wortlosen Transparenten fuchtelt und „Wir sind das Volk“ skandiert, ist das schon die ganze Wut. Und die bleibt seltsam uninspiriert und in allem symbolischen Bemühen hilflos.

Birgit Glombitza