■ Schöner leben
: Klopfzeichen

In der Regel sind Supermärkte nicht gerade Orte der inneren Einkehr und Besinnlichkeit – schon gar nicht Samstag mittag. Da regiert eher der Wahnsinn des High-Speed-Power-Shopping, des volloptimierten Wochenendeinkaufs, und dann ist auch noch die Milch alle, jetzt schnell noch zum Türken undsoweiter. Wenn es nicht ab und an und völlig unerwartet Klopfzeichen aus einer ganz anderen Welt gäbe.

Neulich hatte mal wieder das Feierabendvergnügen vom Freitag zur üblichen Verschiebung des samstäglichen Frühstücks geführt. Mit den üblen Folgen beim Versorgungsgang: Sämtliche Einkaufswagen waren im Einsatz, und wer will schon mit den ergatterten Waren zwischen den Regalen herumschaukeln. Blieb nur, am Kassenausgang mit Argusaugen nach freiwerdenden Wägelchen zu spähen, frühzeitig Blickkontakt mit den Zahlenden aufzunehmen, denen nicht von der Seite zu weichen, wenn sie Milchflaschen und Fleischpakete in Tüten und Taschen verstauen, und dann wäre der Wagen mein – all das selbstverständlich schneller als alle anderen SpäteinkäuferInnen, die dasselbe im Sinn hatten. Zeit ist Geld, irgendwie, selbst am Wochenende.

So war's an eben jenem Samstag, und Glück gehabt: Ein Opi hatte gerade seinen kargen Einkauf vom Fließband in den Wagen gepackt, nur wenige Teile, mit Aussicht auf eine schnelle Abwicklung. Aber alte Leute sind halt alte Leute. Langsam und umständlich packte der Mann seine Dose Linsensuppe und die Schachtel Käseecken in eine Ledermappe, die aussah, als hätte sie jahrzehntelang Werktag für Werktag Frühstücksbrote beherbergt. Ein paar geklaute Sekunden für einen kleinen Schwatz und die nett dahingeplauderte Gelassenheit: „Bloß keine Eile, wir sind ja nicht auf der Flucht.“ Stimmte ja, wenn auch nur halb. „Wir“ nicht, aber ich.

Jedenfalls, die Freundlichkeit ließ den Mann kurz innehalten, gedankenverloren blickte er auf seine plastikverschweißte Kalbsleberwurst, dann quer über den Drahtwagen dem hibbeligen Späteinkäufer durch die Augen, und sagte: „Ach, wissen Sie, es ist ja auch ganz schön, wenn mal jemand auf einen wartet.“

Der Mann war längst aus der Tür, als sich Betäubung und Sprachlosigkeit langsam lösten. Supermärkte sind selten ein Ort der Besinnlichkeit oder gar der Selbsterkenntnis. Schon gar nicht am Samstag mittag. Diesmal schon. Jochen Grabler