Für immer Punk

■ Ben Becker, schwankend zwischen Genie und Schwachsinn

Ben Becker ist eigentlich Schauspieler und Regisseur. Doch gerne brüstet sich der 32jährige mit seiner Inszenierung der Punk-Romanze „Sid & Nancy“ und damit, daß er trotz aller beruflicher Disziplin nie aufgehört habe, Punker zu sein. Alles zieht ihn zur Musik, und so hat er nun mit „Und lautlos fliegt der Kopf weg“ sein erstes Album aufgenommen. Samtag nacht stellte er es mit Jacki Engelcken (Gitarre) und Ulrik Spies (Schlagzeug und Tasten) in der Schauburg vor.

„Kein Schauspiel“ kündigten die Plakate an, aber das mußte sofort relativiert werden. Gockelgleich, mit weit gespreizten Schritten und einem geschulterten Spazierstock betrat Becker die Bühne, sang recht hübsch zu einem stillen Drum'n'Bass-Stück und erzählte danach erstmal Geschichten aus seiner Bremer Kindheit. Anfangs konnte er damit dank Wiedererkennungswert aus den eigenen Biografien der ZuschauerInnen amüsieren: „Ich mußte mit meiner Oma immer das Dromedar im Bürgerpark füttern gehen.“ Schon bald aber wurden seine Geschichten immer sinn- und grammatikloser, und man stellte sich die Frage, die einen noch lange nach dem letzten Ton beschäftigen sollte: Steht er wirklich kurz vor der Alkoholvergiftung, oder ist er einfach ein brillanter Schauspieler? Ungehobelt wies er eine Fotografin zurecht, verließ oft ohne Ankündigung die Bühne, fiel hin, motzte über sein Hotel und pöbelte das Publikum an: „Was haben Sie denn erwartet?!“

Gespielt oder nicht – intensiv war es jedenfalls. Unmut machte sich im Publikum zunächst nur leise und schüchtern breit – vielleicht könnte Becker ja handgreiflich werden. Und die Musik war immerhin gelungen: Fetzige, punkig inszenierte Rocksongs, ein wenig Pop zum Mitschnippen. Die Texte oft etwas kunstgewerblich, aber eindringlich vorgetragen.

Zwischendurch immer wieder Kommentare zum Publikum und Zufallsenthüllungen wie die, daß Becker erst spät mit dem Nuckeln aufgehört habe. Darauf rief jemand: „Woran denn?“ Darüber beölte sich der Meister gar sehr und fand, das sei der beste Zwischenruf des Abends gewesen. Dabei war ein anderer viel besser. Als das Keyboard verkehrt gestöpselt war und immer das falsche Lied abspielte, rief jemand: „Braucht ihr einen Informatiker?“ Dieses Niveau überstieg das des Herrn Becker allerdings im Augenblick, und er wurde wieder aggressiv.

Ein schlechter Entertainer oder ein guter Dadaist? Beckers ständiges Herumreiten auf seiner Underground-Glaubwürdigkeit lassen auf ersteres tippen, aber sicher sein kann man sich nicht.

Andreas Neuenkirchen