Planeten im Forschungslabor

Mit Modellplaneten suchen Astrophysiker nach dem Ursprung unseres Weltalls  ■ Von Lars Abromeit

Feldforschung, das ist für die Astrophysiker naturgemäß eher ein Fremdwort: Während Biologen Pflanzen züchten und Meteorologen Hurrikans jagen, blickten Astrophysiker bisher fast nur in die Röhre, wenn es darum ging zu klären, wie ihre Forschungsobjekte eigentlich entstehen. Seit kurzem versuchen nun aber einige Astronomen, dem Blick durchs Teleskop und den mathematischen Berechnungen mehr Anschaulichkeit zu verleihen, indem sie sich die Planeten „ins Labor“ holen.

So simulieren an der Universität Jena Jürgen Blum und Thorsten Poppe anhand eines relativ einfachen Modells Bedingungen, wie sie vor etwa fünf Billionen Jahren geherrscht haben müssen, als sich das Sonnensystem aus einer Wolke von Helium und Wasserstoff sowie unzähligen winzigen Silikatpartikel gebildet hat. Diese Teilchen müssen, so vermuten die Astronomen, aufgrund der Brownschen Molekülbewegung immer wieder aneinandergestoßen und haften geblieben sein, bis die dabei entstehenden Klumpen ab einem Durchmesser von mehr als einem Kilometer eine nennenswerte eigene Anziehungskraft entwickelt haben. Wie dies aber genau vor sich gegangen ist, konnte bisher nur durch Modelle auf dem Papier berechnet werden.

„Unser Ziel ist es nun, zu überprüfen, ob die Computersimulationen auch der physikalischen Wirklichkeit entsprechen“, beschreibt Jürgen Blum die Ausgangsfrage seiner Modellversuche. Dazu schießen die Forscher aus Jena in ihrer Apparatur 0,5 bis zwei Mikrometer große Silikatkügelchen auf eine glatte Glasscheibe und messen dabei die mini- und maximale Geschwindigkeit, bei der die Geschosse an der Platte haften bleiben. In einem anderen Experiment beobachten die Wissenschaftler das Verhalten von einzelnen Silikatpartikeln innerhalb einer ganzen Teilchenwolke. Das Problem ist hier jedoch, diese Wolken entgegen der Schwerkraft stabil zu halten. Abhilfe davon versprechen sich die Wissenschaftler in Zukunft von Raketenexperimenten und im Rahmen eines Space-Shuttle-Fluges, bei dem die Apparatur, das sogenannte Cosmic Dust Aggregation Experiment (CODAG), voraussichtlich Ende des Jahres 1997 mitfliegen soll.

Doch auch mit den irdischen Experimenten konnte das Team um Blum und Poppe bereits erste wertvolle Erkenntnisse gewinnen: Sie stellten fest, daß die Silikatpartikel auch bei einer Aufprallgeschwindigkeit von 1,2 Metern pro Sekunde noch aneinanderhaften- viermal soviel, wie im mathematischen Modell errechnet wurde. Eine mögliche Erklärung dafür kann Jürgen Blum gleich mitliefern: „Wir haben beim Aufprall elektrostatische Kräfte gemessen, die theoretisch gar nicht hätten auftreten dürfen.“ Diese können, so vermuten die Wissenschaftler, für das Zusammenhaften der Silikatteilchen und damit für die Entstehung von Planeten eine bisher unbeachtete Rolle spielen.

Von dem CODAG-Experiment erhoffen sich die Forscher weitere Erkenntnisse insbesondere über die Lichtstreuung an Silikatklümpchen. „Aus der größenspezifischen Lichtstreuung ließe sich eine Art spektroskopischer Fingerabdruck errechnen“, erklärt Blum. „Damit könnte man unter Umständen entscheiden, ob ein durch das Teleskop betrachtetes Objekt den Keim junger Planeten in sich trägt.“ Andere potentielle Anwendungsgebiete für die experimentellen Ergebnisse sehen die Wissenschaftler vor allem in der Klimaforschung. Denn das Verhalten der Silikatpartikel zeigt erstaunliche Parallelen zu den Kondensationskeimen, um die sich in der Atmosphäre der Erde Regentropfen bilden und die bei der Entstehung des Ozonlochs eine wichtige Rolle spielen.

Als Alternative zu den mathematischen Modellen oder gar zur bemannten Raumfahrt wollen die Forscher aus Jena ihr Experiment allerdings nicht verstanden wissen. Ihnen gehe es vielmehr darum, die gefundenen Theorien in der Praxis zu überprüfen.

Ähnlich begrenzt versteht auch Professor Fritz Busse von der Universität Bayreuth den Zweck der Planetensimulationen im Labor. Auch seine Labormodelle zur Untersuchung der „Streifen“ auf dem Jupiter könnten nun allerdings im Streit verschiedener Theorien einen möglichen Ausweg aus der Sackgasse weisen. Die in entgegengesetzter Richtung wehenden Winde in der Atmosphäre des Jupiters, die uns bei der Beobachtung des Planeten als helle und dunkle Streifen erscheinen, werden von einigen Astronomen als Auswirkungen der Sonnenstrahlung, von anderen dagegen als Folge von Konvektionsströmen, Wärmeströmungen, aus dem heißen Inneren des Jupiters interpretiert. Busses Gruppe konstruierte nun ein zweischaliges Kugelmodell aus einem metallischen Kern und einer wassergefüllten Plexiglashülle und ließ dieses um die eigene Achse rotieren. Dabei wurden der Kern gekühlt, die äußere Schicht dagegen warm gehalten, gerade umgekehrt also, als es der Realität entspricht. „Durch die Umkehr des Temperaturgradienten waren wir in der Lage“, so Busse, „die nach innen wirkende Gravitationskraft des Planeten durch eine nach außen gerichtete Kraft zu simulieren, da nur das Produkt der beiden Größen in die Rechnung einfließt.“ Mit Hilfe eines Indikators konnten nun die Bewegungen der einzelnen Schichten sichtbar gemacht werden. Und tatsächlich beobachteten sie Konvektionsrollen, die sich entlang der Rotationsachse streifenförmig anordneten.

Die Gruppe um Busse lieferte damit ein wichtiges Indiz dafür, daß die Windbildung in der Atmosphäre des Jupiters wahrscheinlich als Auswirkungen der Konvektionsströme aus dem Inneren des Planeten zu interpretieren sind. „Direkte Beobachtungen halfen hier wenig weiter“, sagt Busse, „denn auch die Messungen der Voyager-Sonde erstrecken sich nur auf die äußeren Schichten der Jupiteratmosphäre. Unser Modell läßt nun aber auch Aussagen über die für Konvektionsströme bedeutendere tiefere Atmosphäre zu.“

Dennoch sind viele Physiker wie etwa der US-Forscher Peter Olson skeptisch, ob solche Modelle wirklich genügend Faktoren der Wirklichkeit berücksichtigen. Doch bisher scheinen die Beobachtungen von Raumsonden wie etwa der Galileo-Kapsel kurz vor ihrem Absturz in den Jupiter 1995 die Labormodelle Busses und auch Olsons zu bestätigen. Diese sollen nun auch irdische Verwendung finden, nämlich in der Erforschung der vergleichbaren Strömungen im Erdinneren. Auch hier liegen die Versuchsobjekte schließlich nicht gerade vor der Haustür.