Das Portrait
: Ruheloser Ruhestörer

■ Jakov Lind

In den sechziger Jahren stritt man über den Schriftsteller, Drehbuchautor und Schauspieler Jakov Lind noch gerne. Danach geriet er ein wenig in Vergessenheit. Von der Literaturkritik einst als Berufschaot und Berserker bezeichnet, erwiderte er lakonisch: „In Wirklichkeit probiere ich nur andere Möglichkeiten der Existenz und mache mir Notizen.“

Jakov Lind wurde am 10. Februar 1927 in Wien unter dem Namen Jakov Landwirth als Sohn jüdischer Eltern geboren. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen 1938 emigrierte er mit seinen Eltern in die Niederlande und arbeitete ab 1943 unter falschem Namen auf einem deutschen Rheinschlepper sowie später als Kurier eines NS-Spions im deutschen Reichsluftfahrtministerium. Die Erfahrung, den Holocaust als Jude auf der Seite der Täter überlebt zu haben, verarbeitete er wiederholt in seinen sowohl grotesk-surrealen als auch naturalistischen Romanen und Erzählungen. „Der Nazismus, das sind wir“, lautet eine Erkenntnis seiner bisweilen alptraumhaften Schreckensvisionen.

Von 1945 an versuchte Jakov Lind sich in Palästina in verschiedenen Berufen und kehrte 1950 nach Wien zurück, wo er 1951 ein Schauspielstudium am Max Reinhardt-Seminar aufnahm. Nach Stationen als Seemann, Privatdetektiv und Filmagent ließ er sich 1954 in London nieder, wo er seither lebt.

„Diejenigen, denen die Papiere zum Leben fehlten, stellten sich zum Sterben an.“ Mit diesem Satz leitete Lind seine „grausame Prosa“ ein. „Eine Seele aus Holz“, ein Band mit Erzählungen, kam 1962 heraus und wurde von Kritikern als „unverschämtestes Buch des Jahres“ gewürdigt. Dennoch blieb dem ruhelosen Ruhestörer, als der er sich selbst gern sah, der Kulturbetrieb als Heimat versagt. Sein Theaterstück „Die Heiden“ wurde trotz erfolgreicher Uraufführung 1964 sofort abgesetzt und seither auf keiner deutschsprachigen Bühne mehr gespielt. Seine Romane sind nur noch vereinzelt lieferbar.

Rechtzeitig zum 70. Geburtstag hat jedoch der Picus- Verlag die autobiographischen Bände „Selbstportrait“ und „Nahaufnahme“ neu aufgelegt. Beim Hanser-Verlag wird sein erster Roman „Landschaft in Beton“ wiederveröffentlicht. Jakov Lind, der furchtlos über Furchtbares fernab von rührseliger Anne-Frank-Stimmung schreibt, kann also wiederentdeckt werden. Daniela Koch