Ihr sollt mich lieben – für drei tolle Tage

Wer eigentlich ist Hugo Winkels? Er ist der erste schwule Prinz von Köln, soviel steht fest. Und er ist nichts weiter als eine kleine Nummer im Karnevalsklüngel, das hat sich an Weiberfastnacht gezeigt  ■ Aus Köln Jens Rübsam

Er ist eingeschlafen. Einfach so, kurz vor acht Uhr am Weiberfastnachtsabend, mitten in diesem Restaurant. Er hat sich angelehnt an den kühlen Balken, hat die Augen geschlossen, den Mund leicht geöffnet – und ist weggeträumt. Die weißen Handschuhe und das goldene Zepter liegen am Tischrand, der blau-weiße Federhut liegt eingeknickt einen Tisch weiter. Sein Gesicht ist fahl, den blonden Locken fehlt der Glanz, die weiße Strumpfhose ist dreckgesprenkelt, die Schrimps auf dem Teller sind längst kalt und die Eiswürfel im Vitamindrink geschmolzen. Jetzt schläft er, weil auch Prinzen zwischen Auftritt und Auftritt einmal schlafen müssen. Auch Prinzen können nicht immer jeck sein.

Er träumt dem Tag hinterher, an dem „alles so geil war“. Und am Aschermittwoch ist alles vorbei. Auch für Prinzen.

4,6 Millionen Arbeitslose in Deutschland tönt es aus dem Radio durch das Restaurant, allein 920.000 in Nordrhein-Westfalen. Ein Rekordzahl, sagt der Nachrichtensprecher.

Prinz Hugo I. träumt den Karnevalsschlaf. Die Realität da draußen kommt darin nicht vor. Prinz Hugo träumt von Weiberfastnacht in Köln.

Prinzsein ist nichts für Träumer. An diesem Donnerstag, zur Eröffnung des Straßenkarnevals, war er, Hugo Winkels, der erste schwule Prinz von Köln. Haben ihn alle geliebt, die Wiever, die Jecken und die Medien. Haben alle Hugo, Hugo gerufen, hat ihn jeder erkannt, auf dem Alten Markt in Kölns Altstadt und in den schwulen Kneipen drumherum. Bis morgen wird das so sein. Aber schon am Aschermittwoch, wenn alles vorbei ist, wenn Hugo, der erste schwule Prinz, wieder Hugo Winkels heißt, und Gastromanager vom „Deutzer Bahnhof“ ist, dann wird das Leben so verdammt normal sein wie vor den tollen Tagen.

Karneval ist ein traurig-kurzlebiges Geschäft. Und Hugo ist Teil dieses Geschäfts geworden. Er, der mal angefangen hat, Wirtschaftswissenschaften zu studieren, der mal stellvertretender Wirtschaftsmanager einer Hotelkette war, der jetzt, gemeinsam mit zwei Freunden, sechs Läden in Köln betreibt, er, der 29jährige Geschäftsmann Hugo Winkels, weiß das alles. Aber er hat das Spiel mitgespielt, die Zeit genutzt, um schwesterlich mitzuklüngeln – freilich nicht als Teil der schwul-lesbischen Kölner Connection um Hella von Sinnen, die ihn nicht haben wollte als Prinzen auf der „Rosa Sitzung“, dieser kommerziell gewordenen schwul- lesbischen Karnevalskomödie. Nein. Hugo, ein paar Schwestern und vor allem Peter Möws, der seit 17 Jahren die Kölner Schwulenszene prägt, der mitarbeitet in der Aidshilfe, der den Sportverein Janus gegründet hat und der mithalf, den Kölner CSD zum größten in Deutschland werden zu lassen, sie alle haben im November einen eigenen Verein gegründet - die „Andere Prinzengarde“. Innerhalb von zwei Wochen wurde das Konzept geschrieben, wurden Sponsoren gesucht; Hugo hat ein Lied getextet und eine CD gemacht, und, als alles stand, haben sie wirklich gedacht, Karneval von unten machen zu können. Ohne viel Kohle, ohne Promis, einfach nur Karneval machen. Karneval für die kleinen Leute.

Es blieb bei einem Traum.

Prinz Hugo I. wurde ein Selbstläufer – ohne daß er die Chance hatte, auf den Weg zu achten. Er wurde vermarktet, und er hat sich vermarkten lassen: Prinz Hugo auf Kondomen, Prinz Hugo in der Bunten und in Prinz, Prinz Hugo im Interview hier, Prinz Hugo im Interview da. Prinz Hugo als Talkgast bei „Bärbel Schäfer“, präsentiert als „Deutschlands durchgeknalltester Typ“. Prinz Hugo war plötzlich überall, nur nicht mehr bei sich selbst und auch nicht mehr bei seinen Gardeschwestern. Zwei, die Eric und die Thomas, sind am Tag nach Weiberfastnacht ausgestiegen, mitten im Trubel. Sie wollten nicht mehr nur in der zweiten Reihe stehen, hinter Hugo. Peter, der Präsident der „Anderen Prinzengarde“, sagt: „Hugo ist ein guter Mensch. Aber er haut manchmal über die Stränge.“ Will wohl heißen: Dem kleinen Prinzen wachsen zu schnell Flügel. Peter sagt noch, er selbst sei gefragt worden, ob er nicht den Prinzen spiele. „Aber“, meint Peter, „ich bin einer, der gern am Rand vom Mittelpunkt steht.“

Hugo ist einer, der Gefallen am Mittelpunkt findet. Der zwar weiß, daß der Mittelpunkt nicht der Nabel der Welt ist, der aber dieses Spiel, und Karneval ist ein Spiel, gerne mitspielt. Ob er am Ende gewinnt? Oder verliert?

Gnadenlos reißt das Klingeln den Prinz aus den Träumen. Es ist Donnerstag, Weiberfastnacht, viertel nach sechs am Morgen; der Weckdienst kennt kein Erbarmen. Es ist Zeit. Nur wenig, um die Locken zu stylen, gerade ausreichend, um kurz zu duschen, das blau- weiße Prinzenkostüm überzustreifen und einen Liter Orangensaft zu trinken. Der WDR hat einen Fahrer nach Köln-West geschickt, zum Hotel, da, wo der Prinz Zuflucht gesucht hat, abseits von jeglichem Karnevalstrubel. Der Wagen rast in die Innenstadt, zum Alten Markt, dahin, wo Prinz Hugo gleich wieder einen TV-Auftritt haben wird und wo drei Stunden später, um 11.11 Uhr, die Konkurrenz, Prinz Thomas I, Jungfrau Schorschi und Bauer Werner, das traditionelle Dreigestirn, den Kölner Straßenkarneval eröffnen werden. Die ersten Wiever sitzen seit sieben auf der Tribüne, trinken Himbeergeist, Piccolo und Tee mit Rum, essen Käsestullen und Frikadellen und Heringsstips, lassen die Sau raus, weil sie es sind, die an Weiberfastnacht die Sau rauslassen dürfen. Anneliese steht ganz vorn, in der ersten Reihe, ist „unten Clown und oben Zensi“, hat heute frei und muß nicht putzen, „ist ja schließlich der höchste Feiertag im Karneval“. Hanni steht zwei Reihen dahinter, neben Schulfreundin Ingetraud, die jedes Jahr aus Braunschweig zum Karneval nach Köln kommt. Beide sind sie alte Clown-Wiever und schon mächtig in Stimmung, „kölsche Mädcher fiere joot“, und kölsche Mädcher haben nichts gegen Schwule. Oder? Noch vor zwei Jahren war das anders. Da wurde die Jungfrau aus dem Dreigestirn verbannt, als herauskam, die ist schwul.

Prinz Hugo steht pünktlich vor der Tribüne auf dem Alten Markt und vor der Kamera. Drei Einblendungen kriegt er ins ARD-Morgenmagazin, eine kurz vor acht, eine nach acht und eine um halbneun. Seine Gardisten im schwarzen Mafia-Look und umhüllt von regenbogenschrillen Tüchern spielen Kulisse; Hugo schwingt das Zepter: „Hier ist der erste schwule Prinz“, singt er. Das hören die Wiever gern. „Bützje, Bützje“, rufen sie. Hugo weiß, was Frauen wollen. Faßt sie um die Hüften, schmatzt und knutscht. Jede kommt mal dran. Eine Dreiviertelstunde später ist die Show vorbei. Hugo schwebt: „Es war geil, einfach nur geil.“ Getobt haben die Frauen und immer mehr Zugaben verlangt.

Eigentlich war Hugo es, der den Straßenkarneval eröffnet hat. Prinz Thomas I., der Offizielle aus dem Dreigestirn, kam zwei Stunden später dran. Da war es aber schon 11.14 Uhr, drei Minuten nach dem Anpfiff um 11.11 Uhr.

Hugo trinkt längst schon sein Kölsch „Beim Pitter“, in der Lederkneipe nur zwanzig Meter neben der Festbühne. Gegenüber auf der Tribüne drängeln sich mittlerweile 2.000 Jecken, insgesamt sind 28.000 auf dem Alter Markt. Alle grölen mit den Gruppen Höhner und Black Fööss die immergleichen Lieder. Hugo singt „Beim Pitter“ sein Lied vom ersten schwulen Prinzen: „Wir sind die Stars des Abends, wir sind nicht Kunz und sind nicht Hinz“. Irgendwann verschwindet er – auf einen Balkon im Haus nebenan. Dort läßt er die spargeldünnen Beine baumeln, lacht jedem zu, der ihn erkennt, winkt jedem zu, der ihn erkennt – und genießt, daß ihn jeder erkennt.

Torsten und Gregor, die Gardisten, harren geduldig „Beim Pitter“ aus, Peter ist schon gegangen, seine schwule Kneipe im Szeneviertel, dem „Bermuda-Dreieck“ aufzumachen, und Gardeschwester Thomas trinkt vor der Kneipe noch ein Kölsch und wartet ab.

Hugo gefällt das alles, „dat geile Gefühl, jeliebt zu werden“. Er wird bejubelt.

Die Mädels und Jungs stehen Spalier, als er später durch die Altstadt flaniert: „Wir haben dich bei Bärbel gesehen, du warst so süß, so süß“, und sie kreischen ihm in den Nacken: „Wir haben dich heute morgen im Fernsehen gesehen. Toll warst du.“ Hugo saugt sie auf, die Liebkosungen, Hugo frißt sie rein, all die Komplimente von der Stange.

Komplimente kriegt er genug. Von Anni aus Krefeld und von Angelika aus Köln, die sich einig sind: „Joot, joot“ – was soviel heißt wie: gut, daß es jetzt auch einen schwulen Prinzen gibt. Schwule, sagen Anni und Angelika, sind sowieso gut. Weil sie nicht anfangen, an den Mädchen zu fummeln, wenn sie zwei, drei Kölsch getrunken haben.

Die gleichen Bilder, überall. Ob im „Verquer“, im „Canape“ oder im „Deutzer Bahnhof“. Hugo ist der Star, trällert sein Liedchen, flirtert, kokettiert, verteilt Kondome und sagt „Wahnsinn“ und „geil“ und: „Ich bin der Michael Jackson von Köln.“ Wieverfastelovend, das ist sein großer Tag.

Ist er es wirklich?

Noch einmal sehen lassen, am frühen Abend, bei der WDR- Party. Dann kann er nicht mehr, will was essen, will einfach seine Ruhe haben. Und schläft ein, in diesem Restaurant, irgendwo mitten in Köln.

Wer ist eigentlich Hugo?