Von Müßiggang und leerer Arbeitswut

■ „ArbeitSuchtSinn“ oder Was Hannah Arendt zur Arbeitsdebatte beiträgt – ein Seminar

„Was uns bevorsteht, ist eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist, also die einzige Tätigkeit, auf die sie sich noch versteht, was könnte verhängnisvoller sein?“ Diese Aussage stammt nicht etwa aus den neunziger Jahren, sondern aus Hannah Arendts Buch Vita Activa (1958). Das klingt viel aktueller als vieles, was wir heute zum Thema Arbeit lesen. Zum Beispiel das SPD-Plakat im niedersächsischen Kommunalwahlkampf 1996: ein Mann mit dreckverschmiertem Gesicht und Arbeitsklamotten, der offensichtlich gerade eine harte Schicht hinter sich hat. Über dem Bild steht dick und fett: „Erst die Arbeit“.

Erstaunlich, wie sehr sich in Zeiten der – nicht nur konjunkturell bedingten – Rekordarbeitslosigkeit der Stellenwert der Arbeit bis hin zum Selbstzweck steigert. Die einen können froh sein, daß sie einen Job haben, auch wenn sie für diesen steigenden Druck und längere Zeiten in Kauf nehmen. Und das Leben derer, die keinen Job haben, dreht sich um Stellenanzeigen und Bewerbungen. Kurzum, Arbeit, ob man sie hat oder nicht, hat eine neue Wertigkeit. Eine, zu dem Ahrends Publikation Vita Activa schon Brisantes, gar Prophetisches zu formulieren wußte. Ein Seminar mit dem Titel „ArbeitSuchtSinn“ für Frauen, veranstaltet vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (14. bis 16. Februar), will genau nach dieser Aktualität in Hannah Ahrends Schrift fahnden.

In den letzten Jahren erfuhren vor allem Ahrends Gedanken zu „politischem Handeln“ oder „totalitärer Herrschaft“ viel Beachtung. Nicht aber ihre Thesen zum Thema „Arbeit“. In Vita Activa untersucht die Autorin diese „menschliche Grundtätigkeit“ und deren historische Veränderung. Unter weiteren „Grundtätigkeiten“ listet sie „das Herstellen“ und „das Handeln“ auf. Auf die aktuellen Probleme der Arbeitslosigkeit bezogen, ist vor allem die im Buch entspannte historische Perspektive interessant. Wie bewertet die abendländische Tradition zu verschiedenen Zeitpunkten das Verhältnis der drei Grundtätigkeiten untereinander? Wie die Proportionen von Tätigsein und Muße?

Arendt stellt heraus, daß es ein relativ junges Phänomen ist, die Arbeit ins Zentrum des Lebens und an die Spitze der Wertehierarchie zu stellen. Und sie glaubt: Diese Gewichtung geht auf Kosten des Handelns, der kommunikativen und somit politischen Tätigkeiten. Wer sich nur noch mit dem Thema Arbeit beschäftigt, hat kaum Gelegenheit, die gesellschaftlichen Veränderungen wahrzunehmen. Eine reinen Arbeitsgesellschaft, so warnt sie, drohe politisch zu veröden. Das Seminar möchte mit Ahrendt den historischen Wertewandel aufblättern und dadurch Möglichkeiten der Um- und Neubewertung öffnen: Wenn der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausginge, könnten die Menschen sich auf andere, sinnvolle Tätigkeiten besinnen, die in der „normalen“ Arbeitsbiographie keinen Platz haben? Hierfür kann Arendts Vita Activa Denkanstöße geben. Motto: Erst die Arbeit ... und dann? Claudia Lenz

Weitere Informationen unter der Telefonnummer 30 62 32 09