Globalhaushalte unter Beschuß

Die Zuweisung von Globalhaushalten sollte die Autonomie der Bezirke stärken. Doch inzwischen fühlen diese sich gegenüber der Hauptverwaltung benachteiligt, weil das Geld nicht ausreicht  ■ Von Christian Füller

Das Experiment steht auf der Kippe. Um die Bezirke endlich aus der finanziellen Kontrolle des Senats zu befreien, wurde ihnen im Haushalt 1995/96 eine Globalsumme zugewiesen. Das Zauberwort Globalsumme versprach freies Wirtschaften. Die BezirkspolitikerInnen sollten eigene Prioritäten in ihrem Kiez setzen können. Ehe das Experiment in sein zweites Jahr geht, hat sich Ernüchterung breitgemacht.

Globalhaushalte, sagt zum Beispiel der Tiergartener Bürgermeister Jörn Jensen (Bündnis 90/Die Grünen), „funktionieren nur, wenn die Summe auskömmlich ist“. Und weil sie es nicht ist, „knebeln uns die Globalsummen“. Am Freitag diskutiert der Hauptausschuß die Bezirksetats. Dem Abgeordnetenhaus steht eine hitzige Debatte bevor.

Das neue System benachteilige die Bezirke massiv gegenüber der Hauptverwaltung, so lautet einhellig die Meinung in den halbselbständigen Bezirksverwaltungen. Die Zahlen belegen dies eindrucksvoll: In der Haushaltsklausur beschlossen die SenatorInnen, rund 1,4 Milliarden Mark im Landesetat einzusparen. Diese Summe wird nach Informationen aus der Finanzverwaltung im Jahr 1997 fast ausschließlich von den Bezirken erbracht (siehe Kasten). Während die Senatsressorts im Schnitt um 10 Prozent ihre Etats herunterfahren, werden die Westbezirke im konsumtiven Bereich um 50, die Ostbezirke um 30 Prozent gekürzt. „Die Frage ist“, sagt der Haushaltsexperte der bündnisgrünen Fraktion, Oliver Schruoffeneger, „ob das Globalsummensystem dazu dient, die Bezirke kleinzukriegen oder sie unabhängiger zu machen.“

Die Globalsumme verhieß Finanzautonomie. Die Idee dahinter: Die Finanzsenatorin und der allmächtige Hauptausschuß sollten künftig nicht mehr in die Einzeletats der Bezirke hineinregieren. Kreuzberg etwa sollte selbst entscheiden können, ob es bei der Bauunterhaltung spart oder einem sozialen Projekt den Geldhahn abdreht. Doch die Praxis sieht ganz anders aus. Zum einen unterzog der Senat die Bezirke drastischen Kürzungen. Zum anderen wird immer öfter gegen das Prinzip der bezirklichen Finanzautonomie verstoßen: Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) erließ die gezielte Vorschrift, die bezirklichen Budgets für Bücher und Kopien um 20 Millionen Mark einzudampfen. Ein krasser Verstoß gegen das Globalsummensystem.

Nicht anders steht es ab 1998 mit der Sozialkarte: Der staatliche Beförderungszuschuß für Sozialhilfeempfänger wurde bisher immer vom Land bezahlt. Künftig zieht die Finanzsenatorin den Bezirken kurzerhand den Gegenwert für die Sozialkarte ab – von der Globalsumme.

Stinksauer über das Globalsystem ist man auch in Tiergarten. Dort geht jedes Jahr im Sommer mit der Love Parade der werbeträchtigste Event, den Berlin aufzuweisen hat, über die Bühne. Leider tobte die Love Parade aber nicht über eine Bühne, sondern über Sträucher, Blümchen und Hecken. Dem Bezirk entstanden Kosten von über 200.000 Mark. Als Bürgermeister Jörn Jensen auf die gesamtstädtische Bedeutung des Ravertrosses hinwies, so der Bündnisgrüne, „da wurden wir auf die Globalsumme verwiesen“.

Am krassesten aber ist der Verstoß gegen die globale Haushaltslogik im Falle der Sozialleistungen. Die zahlen die Bezirke auf der Grundlage komplizierter Bundesgesetze lediglich aus, von frei verteilbaren Mitteln kann also keine Rede sein. Die Sozialhilfeleistungen werden in der Globalsumme erfaßt, in einem anderen Teil der Globalsummen geht es um die freiwilligen Leistungen wie die Förderung der bezirklichen Kultur. Um die Verteilung zwischen Pflicht und Kür bei den Zahlungen tobt zwischen Bezirken und Senat ein heftiger Streit. Und der wird in den Bezirken in drei verschiedenen Varianten ausgetragen.

Der Steglitzer Finanzstadtrat Udo Bensel (Bündnis 90/Die Grünen) läßt sich von der Finanzverwaltung überhaupt nicht in die Verteilung der Mittel eingreifen. In der Finanzverwaltung gilt Bensel als Vertreter eines „bösen Bezirks“ – weil er die aufgetragenen Einsparungen selbständig auf die pflichtgemäßen und die freiwilligen Leistungen verteilt. „Steglitz ist deshalb böse“, sagt Bensel gelassen, „weil wir nicht den Füllfederhalter der Finanzsenatorin spielen.“ Solange er kein Defizit erwirtschafte (wie dies im Jahr 1996 geschehen ist), keine „pauschalen Minderausgaben“ oder Vermögensverkäufe einstelle (wie im Entwurf 1997), sei alles in Ordnung.

Der Hellersdorfer Bezirksbürgermeister Uwe Klett geht noch einen Schritt weiter. Klett hat das Globalsummensystem auf seine Füße gestellt – er hat die seit Jahren angewandten Berechnungen durchgeführt, ohne die 30prozentigen Abschläge der Finanzverwaltung zu akzeptieren. Klett legte Indikatoren für den baulichen Zustand des Bezirks, die Ausstattung mit Lehrmitteln oder soziale Einrichtungen zugrunde. Damit hat er einen „bedarfsorientierten Haushalt“ aufgestellt. „Das sind keine Traumschlösser, sondern die bezirklichen Auffangstrukturen“, sagt Klett mit Blick auf die Jugend-, Sozial-, Frauen- und MigrantInnenprojekte, die er finanzieren will. Der Hellersdorfer Etat, mit der überwältigenden Mehrheit aller Parteien in der BVV beschlossen, hat den Nachteil, daß er 22 Millionen Mark Minus aufweist. Anders als andere Bezirke hofft Klett aber nicht darauf, daß er diese „pauschale Minderausgabe“ erwirtschaften wird. „Die werde ich überhaupt nicht reinholen, denn sie beruht auf den sozialen Standards, die seit Jahren angewandt werden.“

Bärbel Grygier aus Hohenschönhausen wiederum hält die Fahne der Rebellion hoch. Grygier, für die PDS zur Bürgermeisterin Hellersdorfs gewählt, hat die ihr zugewiesene Globalsumme schlicht überschritten. Um 9,2 Millionen Mark. „Das sind keine blühenden Landschaften“, begründet Grygier, „sondern der Mindestbedarf meines Bezirks.“

Am Freitag erfahren die grünen und roten Haushaltsrebellen, wer recht bekommt. Dann wird sich auch herausstellen, ob das Experiment Globalsumme zum Scheitern verurteilt ist.