Die Müll-Guerilla Von Mathias Bröckers

The essence of life is composting our own shit. Von dieser goldenen Lebensregel – man könnte sie auch kategorischen Imperativ nennen, denn wenn jeder die selbstgebaute Scheiße selbst kompostieren, Abfall und Mißratenes in neues Wachstum und Leben verwandeln würde, stünde alles zum besten –, von einem derartigen Kreislaufdenken sind die meisten noch weit entfernt.

Und doch tut sich was, jedenfalls wenn man der Zeitschrift Chemistry&Industrie Glauben schenkt. Das Blatt berichtet von einem neuen Phänomen, das in Kaliforniens Hauptstadt Sacramento beobachtet wurde und offenbar Kreise zieht: dem Mülldiebstahl. Der Stoff, der die lokalen Kriminellen interessiert, sind nicht irgendwelche Abfälle, sondern der recycelbare Müll, den die Bürger sortieren und wöchentlich vor ihrer Haustür plazieren. Die Mülldiebe fahren einfach mit einem Pick-up durch die Gegend, sammeln die Säcke mit Aludosen, Papier oder Glas ein und versilbern ihr Diebesgut in der nächsten Recyclinganlage. Die lokale Polizei schätzt, daß letztes Jahr Abfälle im Wert von etwa 600.000 Mark entwendet wurden, Tendenz steigend. Da noch jeder Trend von der amerikanischen Westküste mit einer gewissen Zeitverzögerung nach Europa schwappt, kann kein Zweifel bestehen, daß diese Methode demnächst auch bei uns um sich greifen wird. In New York wäre so etwas nicht möglich gewesen, hier ist die offizielle Müllabfuhr seit Jahrzehnten fest in den Händen einiger Mafiafamilien. Eine frei umherschweifende Müll-Guerilla, die die Rosinen aus dem Unrat pickt, hätte gegen diese organisierte Müllkriminalität keine Chance und würde schnell ebenfalls auf der Deponie landen. Ansonsten aber ist zu hoffen, daß sich der neue Trend rasch durchsetzt – denn erst in dem Moment, wo jemand meinen Abfall stiehlt, ist der Abfall nicht mehr Abfall. Das achtlos Weggeworfene, Unbrauchbare, Wertlose gewinnt plötzlich an Wert. Das „stille Örtchen“ zur Entsorgung des menschlichen Darms verdankt seine Erfindung insofern weniger der Scham oder der Hygiene als vielmehr der Tatsache, daß sich Tausende Trash- Kriminelle in Form von Fliegen einfach nicht irren können. Hätte sich kein Aas für seinen Haufen interessiert, hätte Homo sapiens wahrscheinlich weiter fröhlich in der Gegend rumgekackt – so aber lernte er am eigenen Leib den Wert seiner Fäkalien schätzen und entdeckte die Kunst der Kompostierung. Und damit die Urform jeder Alchimie: aus Scheiße Gold machen. Nun ging das schon damals nicht so ganz einfach, und auch heute kostet es einigen Schweiß, aus Müll Millionen zu machen. In unserem Hinterhof residieren mittlerweile sieben verschiedene Behälter, die heute nicht mehr einfach Mülleimer, sondern „Wertstofftonnen“ heißen. Doch dieser hehre Titel hilft zumindest im anarchischen Kreuzberg wenig – an Mülldisziplin und Unratordnung halten sich die wenigsten, es wird abgeworfen, wo's gerade paßt. Und da, gottlob, kein Abfallblockwart existiert, geht das achtlose Treiben fröhlich weiter. Wenn allerdings hier demnächst einmal der erste halbwegs sortenreine Wertstoffbehälter geklaut wird, dürfte sich das schlagartig ändern. Wenn es die umherschweifende Müll- Guerilla nicht schon gäbe, man müßte sie erfinden.