Frührentner pfeifen auf den Generationenvertrag

■ In Italien zerstört die Streichung erworbener Rechte das „Zweikarrierensystem“

Seine zweite Lebenshälfte hatte sich Ezio Bersani so schön vorgestellt: Nach 35 beitragsanerkannten Arbeitsjahren wollte der gelernte Elektrotechniker 1998 in Pension gehen, da wäre er 50 Jahre alt. Dann wollte er einen kleinen Reparaturbetrieb aufmachen. Mit 62 würde er dann den „echten“ Ruhestand erreichen, würde Boccia spielen und mit Freunden herumsitzen und diskutieren unter der schattigen Pergola seines kleinen Häuschens, das er sich vor zehn Jahren gebaut hat.

Doch daraus wird nichts. Seit 1992 die Regierung Amato erstmals „an unserem Rentensystem herumgemurkst hat, weiß keine Sau mehr, was man machen soll“. Und das ist bis heute so geblieben. „Zuerst haben sie einen zeitweiligen absoluten Stopp für Rentenanträge verfügt. Dann haben sie begonnen, für die Pensionierung ein Mindestalter festzulegen, und das steigt seither kontinuierlich an.“ Derzeit liegt es bei 56, bis zum Jahr 2005 soll es auf dem europäischen Standard von 65 sein.

Natürlich hat es unter den Arbeitern Widerstand gegeben, die nicht einsehen wollten, daß Italiens weltweit einmaliges „Zweikarrierensystem“ nicht mehr zu finanzieren ist: Die Lebensplanung fast der gesamten arbeitenden Bevölkerung hat darauf beruht, daß man mit 50 Jahren schon die Rente bekommen konnte, auch wenn diese dann natürlich noch relativ gering war; doch sie reichte als Basis für eben die „zweite Karriere“, in der man sich selbständig machte oder bei einem Freund mitarbeitete. „Ach was, Generationenvertrag“, murrt Ezio, „ich will lediglich das Geld zurück, das ich einbezahlt habe. Scheißregierung.“

Die sieht das naturgemäß ganz anders. Die Große Rentenreform, die 1995 vom Ministerpräsidenten Lamberto Dini nach zähen Verhandlungen mit den Gewerkschaften durchgesetzt wurde, liquidiert zwar das Prinzip der „zweiten Karriere“ und schiebt das Rentenalter zügig hinaus. Doch gegen den Vorwurf, die Herrschenden hätten verbriefte, erworbene Rechte einer ganzen Generation einfach abgeschafft, wehren sich die Politiker heftig. Schließlich könne auch heute noch jeder nach 35 Jahren in Rente gehen – nur würde ihm dann halt etwas von der ihm zustehenden monatlichen Auszahlung abgezogen. In Zahlen: Für jedes Jahr Rente vor dem 65. Lebensjahr gehen eineinhalb Prozent der vollen Rentensumme ab.

Im Falle Ezios wären das an die 22 Prozent. Damit läge seine Rente unter dem Existenzminimum, hält er dagegen. Nein, sagt die Regierung, es gibt doch noch die neugeschaffene Möglichkeit der „integrativen Rente“. Da müssen die Arbeitnehmer einen einmaligen Betrag überweisen, und dann bekommen sie ihre Rente voll und ganz, auch wenn sie früher ausscheiden. Ezio kann da nur lachen: „Und weißt du, wieviel ich da jetzt auf einmal zahlen müßte? An die 20 Millionen Lire“ (etwa 20.000 Mark).

Dabei droht in Zukunft noch Unangenehmeres: 1998 soll erneut über die Renten verhandelt werden. Dann soll es den sogenannten „Babyrenten“, jenen nach 35 Beitragsjahren, endgültig an den Kragen gehen. Erst nach 45 Jahren oder bei Erreichen der Altersgrenze möchten die Rentenfachleute dann ihre Italiener in den Ruhestand entlassen. Ezio kann da nur den Kopf schütteln: „Sie werden sehen, was sie da anstellen. Denn die ganze Arbeit, die die Millionen früher Rentner in ihrer zweiten Karriere für nur wenig Geld erledigen, werden dann teure Betriebe übernehmen – und das hält unser gesamtes Wirtschaftssystem nicht aus.“ Werner Raith, Rom