Nur wer tüchtig ranklotzt, bleibt im Rentenparadies

■ Auch nach der Reform ihres Wohlfahrtsstaates altern die Schweden unbesorgt

Fünfzehn Jahre irgendwann im Laufe des Arbeitslebens gut verdient zu haben – das reichte bislang in Schweden, um sich mit 65 zur Ruhe setzen und über den höchstmöglichen Rentenbetrag freuen zu können. Seit Beginn dieses Jahres ist solcher Luxus allerdings für alle, die nach 1934 geboren sind, nicht mehr zu haben. Der „Wohlfahrtsstaat für alle“ wurde reformiert. Nach dreijährigem Ringen einigte sich eine Parlamentsmehrheit auf ein neues Rentensystem. Auf einen gut gepolsterten Ruhestand kann sich nur noch einstellen, wer 40 Jahre tüchtig rangeklotzt hat und möglichst nie arbeitslos war.

Das Pensionsalter blieb bei 65 Jahren, nachdem zunächst eine Anhebung des Mindestalters in der Diskussion war. Allerdings kann jeder schon mit 61 Kugelschreiber oder Schraubenschlüssel hinwerfen, muß aber dann auf einige Rentenprozente verzichten. Doch die Zeiten, als man sich mit bis zu 96 Prozent seines Arbeitslohnes aufs Altenteil zurückziehen konnte, sind vorbei.

Dabei haben nicht akute Probleme die Regierung zur Reform gedrängt – für die Staatskasse wird das Ganze bis zum Jahr 2010 sogar um jährlich 10 Milliarden Mark teurer. Es geht darum, vorzusorgen, etwa für die Renten der Arbeitslosen, die derzeit kaum in die Kassen einzahlen. Berücksichtigt wird auch, daß der Anteil der Altersrentner an der Bevölkerung von jetzt 16 bis zum Jahr 2020 auf 22 Prozent steigen wird. Die jetzt 40jährigen sollen wenigstens um die 60 Prozent ihres durchschnittlichen Arbeitseinkommens als Rente erhalten, jedoch unter zwei Voraussetzungen: Die schwedische Volkswirtschaft muß jedes Jahr um zwei Prozent wachsen und der einzelne sollte eine möglichst gut bezahlte Arbeit haben.

Weil es in Schweden kein Berufsbeamtentum gibt, fließen die Rentenbeiträge aller öffentlich wie privat Beschäftigten in den gemeinsamen Topf der „Allmäna Försäkringskassa“. Jeder, der in Schweden wohnt und älter ist als 16 Jahre, wird dort automatisch Mitglied. Anders als in Deutschland zahlten bisher allein die Arbeitgeber Beiträge in die Versicherungskasse ein. In Zukunft werden sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer die derzeit 18,5 Prozent vom Bruttolohn teilen. Die Löhne sollen wegen dieser Zusatzbelastung der Beschäftigten erhöht werden.

Neu ist, daß die Arbeitnehmer zum Teil selber bestimmen können, wo ihre Rentengelder Zinsen und Gewinne abwerfen sollen. Das hat zur Folge, daß auch das spätere Ruhegeld variieren kann, je nachdem, in welchem der zur Verfügung stehenden Fonds man es angelegt hat. Dieses etwas merkwürdige und in seinen Auswirkungen noch unerprobte „individuelle Fondsmodell“ ist ein Bauernopfer, welches die regierenden Sozialdemokraten der bürgerlichen Opposition bringen mußten, um die notwendige parlamentarische Basis für die Reform zu bekommen. „Wahlfreiheit“ nennen die Bürgerlichen dieses Modell, das die Schweden erstmals zu eigener, privater Altersvorsorge zwingt.

Für die Sozialdemokraten bietet dieser Weg die Möglichkeit, endlich etwas Sinnvolles mit den milliardenschweren „Arbeiterfonds“ anzufangen. Sie sollten ursprünglich der Grundstock für eine Vermögensumverteilung in der Gesellschaft darstellen. Rezession und Regierungswechsel verhinderten dies aber schon in der Anfangsphase. Rund 11 Prozent der Rentenbeiträge werden in diese individuell wählbaren Fonds fließen.

Am schwedischen Rentensystem ist seit Jahrzehnten nichts mehr geändert worden, und bislang stand auch die Finanzierung nie in Frage. So empfinden viele die Reformen jetzt als eine kleine Revolution. Die plötzliche Unsicherheit, daß man nicht mehr auf Krone und Öre genau ausrechnen kann, wieviel nach dem 65. jeden Monat auf dem Konto eingehen, hat zu erheblicher Unruhe und zur Gründung einer eigenen „Rentnerpartei“ geführt.

Dabei müssen die jetzigen Rentner sich am wenigstens Sorgen um ihre Rente machen, die Einschnitte treffen die Jüngeren. Und auch für sie bleibt Schweden im EU-Vergleich ein Rentnerparadies: Alle haben das gesetzlich verankerte Recht, solange in ihren Wohnungen zu leben, wie sie wollen. Dort können sie den kostenlosen Haus-Pflege-Service der Kommunen in Anspruch nehmen. Wer das nicht mehr will oder kann, zieht in eins der kommunalen Altersheime, die alle durchweg akzeptabel ausgestattet sind, mit ausreichend Geld und Personal. Niemand muß sich in Schweden jahrzehntelang Beiträge für eine private Lebensversicherung absparen, um sich diesen „Luxus“ am Lebensende leisten zu können. Reinhard Wolff, Stockholm