Einseitige Ermittlungen?

■ Fall Grevesmühl: Verdächtiger Lieblingsschüler und sein Bruder wieder auf freiem Fuß

Die Geschichte war für die JournalistInnen einfach zu gut: Am 28. Oktober wird die Leiche der 60jährigen Musikprofessorin Maria Grevesmühl auf dem Bahnhof in Bremen-Schönebeck gefunden. Sie ist die Treppe hinuntergestoßen worden. Schädelbasisbruch. Die Handtasche mit Schmuck und Geld liegt unberührt neben der Toten. Ihre Stradivari fehlt. Geschätzter Wert: rund zwei Millionen Mark. Drei Tage später präsentiert die Bremer Kripo die mutmaßlichen Täter: Ausgerechnet der Lieblingsschüler von Maria Grevesmühl, der 21jährige Geiger Vasile D., soll seinen Bekannten Marin B. angestiftet haben, der Professorin die Geige zu stehlen. Victor D., der Bruder von Vasile, wird ebenfalls festgenommen. Eine Zeugin will ihn im Zug nach Schönebeck erkannt haben. Gestern wurde Victor D. aus der Untersuchungshaft entlassen. Sein Bruder Vasile ist schon seit Freitag wieder auf freiem Fuß. Die Staatsanwaltschaft hat den dringenden Tatverdacht gegen die beiden Brüder fallengelassen. Marim B., der zugegeben hat, Grevesmühl geschubst zu haben, soll nach seiner Auslieferung aus Brüssel demnächst der Prozeß gemacht werden. Er war vor zwei Wochen aus der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen ausgebrochen.

„Undank ist der Welt Lohn“, entfuhr es Wolfgang Rau, dem Chef der Mordkommission nach der Pressekonferenz Ende Oktober. Maria Grevesmühl hatte den illegalen Einwanderer Vasile D. 1992 gegen den Widerstand ihrer Kollegen an die Musikhochschule geholt und ihn kostenlos unterrichtet. Die Geschichte des undankbaren Schülers machte Schlagzeilen: „Ihr Engagement für den Streicher-Nachwuchs und ihre Unbekümmertheit sind Maria Grevesmühl zum Verhängnis geworden“, titelte der Weser-Kurier. „Ihr Lieblingsschüler plante den Raub“, war sich auch die Bild-Zeitung sicher.

Doch an der rührseligen Geschichte des undankbaren Schülers kommen immer mehr Zweifel auf. Jetzt muß sich die Kripo die Frage gefallen lassen, ob sie einseitig ermittelt hat. „Ich habe immer gesagt, daß ich nichts mit der Sache zu tun habe“, sagt Vasile D. „Aber nach der Gegenüberstellung mit Marim B. hat mich der Polizist einfach nur angeschrien, ich solle mich was schämen, ich hätte Marim angestiftet, um mir die Hände nicht schmutzig zu machen. Er wollte mir einfach nicht glauben.“

Dabei weisen die Aussagen von Marim B. eklatante Widersprüche auf. Bei den polizeilichen Vernehmungen präsentierte er den Beamten vier verschiedene Versionen des Tathergangs und seiner Hintergründe. Stutzig wurden die Kripo-Beamten offenbar nicht: Auf der Pressekonferenz versicherte Rau den Journalisten, er hätte an der Tatbeteiligung von Vasile „keine Zweifel“. Schließlich könne B. nur von Vasile erfahren haben, daß die Musikprofessorin ein solch wertvolles Instrument besitze.

Eine Argumentation, die dem Landgericht hingegen nicht reichte. „Der Besitz dieser Geige war an der Hochschule weithin bekannt“, fanden die Richter heraus und ließen Vasile D. frei. Auch die übrigen Details, wie zum Beispiel die Gewohnheiten von Maria Grevesmühl, könnte B. „durch eine dritte Person“ erfahren haben. Außerdem seien B.'s Aussagen „teils für sich allein schon oder aufgrund des Ergebnisses der Ermittlungen in vielen Einzelheiten wenig glaubhaft“.

Warum den Kripobeamten diese offenbaren Widersprüche nicht aufgefallen sind, war gestern bis Reaktionsschluß nicht zu klären. Während der Ermittlungen drehte eine Fernsehteam war gerade bei der Mordkommission für die Serie „Unter deutschen Dächern“. Chris Steinbrecher, Galerist aus Bremen, der sich zur Zeit um Vasile D. kümmert, vermutet, daß die Sorgfalt der Ermittlungen womöglich „dem Erfolgsdruck“ der Beamten wegen der anwesenden Fernsehleute zum Opfer gefallen sind. „Mir ist das alles gar nicht so wichtig“, kommentiert Vasile D diese Vermutung.

„Daß ich im Gefängnis war, kann ich vergessen. Aber Frau Grevesmühl ist tod. Und daran ist nichts mehr zu ändern.“ kes