Wie der Gewinn ist die Seuchengefahr kalkulierbar

■ Die EU verhängt Sperrkreise und Handelsverbote – und entschädigt dafür die Bauern. Für diese Art der Zuchthygiene muß bislang der Steuerzahler geradestehen

Rinderwahnsinn, Salmonellen und Schweinepest sind „kein Problem der allgemeinen Agrarpolitik“, meint Jochen Borchert. Schuld an der Ausbreitung dieser Krankheiten sei vielmehr falsches Verhalten einzelner Staaten oder Bauern. Borchert muß es wissen, er ist schließlich Landwirtschaftsminister eines Staates, in dem zum zweiten Mal innerhalb von vier Jahren die Schweinepest wütet. Rund eine Million Schweine wurden 1993 abgeschlachtet, die EU verhängte Sperrkreise und ein Handelsverbot über ganz Niedersachsen. Gegen den Protest der Bauern wurden alle verdächtigen Bestände vollständig ausgerottet.

Im Gegenzug zahlte die EU den Bauern 70 Prozent des Verdienstausfalls, die übrigen 30 Prozent steuerte Bonn aus der Seuchenkasse bei. Denn egal ob falsches Verhalten der Bauern oder nicht, wenn es um die Landwirtschaft geht, muß der Steuerzahler geradestehen. Mehr als 300 Millionen Mark kostete ihn diese Art der Zuchthygiene. Wie der Europäische Rechnungshof später herausfand, gelang es einigen Bauern und Viehhändlern sogar, für die Vernichtung vorgesehenes Fleisch offensichtlich nach Polen zu schmuggeln und dort zu verkaufen, obwohl sie zu Hause bereits Entschädigung kassiert hatten.

„Wir werden die Bauern künftig stärker am Seuchenrisiko beteiligen“, versprach Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert am 17. November 1993 vor Journalisten in Brüssel. Gedacht sei an gestaffelte Beiträge zur Seuchenkasse. Denn das Risiko der Schweinepest sei durchaus kalkulierbar: Je mehr Tiere im Stall stehen und je größer die Spezialisierung der Betriebe, um so größer ist nicht nur der Gewinn, sondern auch die Seuchengefahr.

Von der Ferkelaufzucht bis zum Schlachthof legen die Schweine oft drei bis vier Stationen und Hunderte von Kilometern zurück; das fördert die Ausbreitung. Borcherts wegweisender Vorschlag der Risikobeteiligung war dann vielleicht doch nicht so ernst gemeint. Jedenfalls kann sich im Landwirtschaftsministerium niemand mehr daran erinnern. Statt dessen wird jetzt in Brüssel erneut um die Maßnahmen zur Bekämpfung der Schweinepest gerungen. Der deutsche und der holländische Landwirtschaftsminister möchten ihren Bauern möglichst kleine Sperrkreise zumuten, die EU-Partner wollen auf Nummer Sicher gehen und verlangen Radikalkuren.

Die Angst ist groß, daß die Seuche auf die eigenen Bestände überspringt. Außerdem eignen sich solche Abschlachtaktionen auch zur Marktregulierung. Je mehr Schweine in Deutschland und Holland gekeult werden, desto größer ist die Chance für die Nachbarländer, ein paar Marktanteile dazuzugewinnen. Schon jetzt ist klar, daß sich die EU wieder an der Entschädigung der Viehzüchter beteiligen wird. Da sind sich die Landwirtschaftsminister aller 15 EU-Staaten weitgehend einig, schließlich weiß jeder, daß es beim nächsten Mal vielleicht seine Bauern erwischen könnte. Früher kam es noch gelegentlich vor, daß sich der britische Minister eine Zeitlang querstellte, aber in den Zeiten des Rinderwahnsinns sind die Londoner Sparappelle selten geworden.

BSE hat die EU bisher insgesamt sieben Milliarden Mark gekostet. Das Feilschen ums Geld ist deshalb nur ein Nebenkriegsschauplatz. In erster Linie geht es bei den Brüsseler Agrarverhandlungen darum, daß sich die Landwirtschaftsminister bei ihrer Klientel zu Hause als hartnäckige Streiter gegen die Technokraten in Brüssel empfehlen. Voraussetzung dafür ist ein kurzes Gedächtnis. Denn die etwa vom Bundeslandwirtschaftsminister so energisch bekämpften Handelsverbote und Großschlachtpläne sind keine neue Erfindung. Als 1990 die Schweinepest in Belgien ausbrach, war das deutsche Landwirtschaftsministerium unter den Entschiedensten, die eine radikale Beseitigung aller verdächtigen Schweinebestände forderte. Aber das ist lange her. Alois Berger, Brüssel