Randale und gegenseitige Schuldzuweisungen

■ Konservative und Sozialisten machen sich gegenseitig für den Wahlsieg der rechtsextremen Front National im südfranzösischen Vitrolles verantwortlich

Paris (taz) – „Liberté, Egalité, Fraternité“, skandierten gestern 50 Gymnasiasten auf dem Markt von Vitrolles. Anschließend hielten sie ein Sit-in vor dem Rathaus der Provinzstadt ab, die seit der Wahl der rechtsextremen „Front National“ am Sonntag unter politischer Hochspannung lebt. Fünf Jugendliche befanden sich gestern noch in Polizeigewahrsam: Ihnen wird vorgeworfen, am Wahlabend Autos in Brand gesetzt und Polizisten mit Steinen beworfen zu haben. Wegen ähnlicher Vorwürfe sind seit Sonntag bereits vier weitere junge Vitrollais im Schnellverfahren zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt worden.

In Paris hielten unterdessen die Schuldzuweisungen zwischen Sozialisten und Konservativen an. Politiker der beiden Regierungsparteien UDF (liberal) und RPR (neogaullistisch) machten die Sozialisten insgesamt und den langjährigen Bürgermeister von Vitrolles, Jean-Jacques Anglade, im besonderen als „schuldig“ aus – wegen Basisferne, Korruption und schlechter Kandidaten. Vor Ort wurde bekannt, daß der Bürgermeisterkandidat der Konservativen, Roger Guichard, der unter dem Druck der Pariser Parteispitzen zum zweiten Wahlgang seine Kandidatur zurückgezogen hatte, selbst ungültig gewählt hat. Eines seiner Listenmitglieder und Parteigänger der RPR hatte hingegen offen zur Wahl der Front National aufgerufen. „In Paris wähle ich Chirac, in Vitrolles Mégret“, hatte Jean Figadère auf der letzten Wahlveranstaltung der Rechtsextremen verkündet.

Eine gestern veröffentlichte Umfrage im Auftrag der Zeitung Le Parisien zeigt, wie ernst die Franzosen die Wahl in der knapp 40.000-Einwohner-Stadt nehmen: 57 Prozent der Befragten geben dem Ergebnis eine „nationale Bedeutung“ und 70 Prozent finden, die Front National müsse auch ins Parlament einziehen.

Von der allgemeinen Verunsicherung bestärkt, hat die Front National inzwischen ihr neues Rathaus bezogen: Allerdings ohne die mit über 52 Prozent der Stimmen gewählte Bürgermeisterin Catherine Mégret. „Sie ruht sich aus“, informierte ihr Gatte Bruno, der laut Gerichtsbeschluß ein Jahr lang nicht kandidieren durfte und deshalb seine Frau vorgeschickt hatte. Dorothea Hahn