Prosa im Setzkasten

■ Der schwedische Autor Rychard Swartz liest Geschichten aus Europas Nahen Osten

Journalisten sehnen sich zuweilen danach, den täglichen Ballast von zuviel Daten und Fakten abzulegen. Richard Swartz ist einer von ihnen. Nur wenn man selber in dem Text vorkommt, den man schreibt, hat der Text etwas mit dem Land zu tun, über das berichtet wird, meint der Osteuropa-Korrespondent, der seit über 25 Jahren für das Svenska Dagbladet schreibt. Er hat unter dem Titel Room Service 18 Geschichten veröffentlicht, in denen die Moral von der Geschicht durch subtile Menschenporträts ersetzt wird. Statt auf journalistisch geübte Setzkastenprosa, hingehuschte Notizen oder Zeitungsausschnitte greift Swartz auf Privatdepressionen oder Verwirrungen zurück, die ihn etwa in einem Warschauer Hotelzimmer oder beim Durchblättern seiner Stasi-Akte überkamen. Gekonnt überführt Swartz Erlebnisse der vergangenen dreißig Jahre in allegorische Prosa. Der schnöde Erlebnisbericht gedeiht so zum literarischen Kabinettstückchen.

Die Geschichten erzählen von der eigenen Biographie: dem Prager Studium, wo ein Dozent für Wirtschaftswissenschaften ihn lehrt, daß die nicht ausgeführte Arbeit oft die beste ist. Und das Archive, die heranzuziehen man sich ersparen sollte, sich oft als die interessantesten erweisen.

Swartz berichtet von seine Audienz beim König der Roma, der gerade Michael Jackson in Bukarest traf. Bei seiner Krönung hätte er gern die Gypsie Kings dabei gehabt, aber die kamen nicht. Swartz wird zum Krautrouladenessen auf dem siebenbürgischen Lande eingeladen. Die Wohnfläche ist beengt, kräftig wird geschlürft und über die Ungarn geschimpft. Swartz weicht dem Familiengerede aus, versucht, sich zu verstellen, denn alles hier – so gesteht er reumütig beim Abschied – ist ihm fremd. Der Gastgeber vom Lande versteht das nicht.

Eine Affinität zur grotesken Welt Kafkas läßt sich in diesen Geschichten nicht von der Hand weisen. Deren Halbwertzeit gedieh zwischen Borsch- und Cevapcici-Düften wohl länger als zwischen Pommes und Fischstäbchen im Westen. Erinnerungen beinhalten nie die volle Wahrheit, berichtet Swartz im Vorwort: „Bald wird alles so sein, wie es niemals war.“

Stefan Pröhl

Lesung, heute, 20 Uhr, Literaturhaus