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: Artige Unterhaltungselektronik: Kreidler im Roten Salon

Vorschlag

Artige Unterhaltungselektronik: Kreidler im Roten Salon

Arty, arty und nochmals arty: Kreidler Foto: Kiff SM

Kreidler brachten es vor einiger Zeit mit nur einer Kassette und einer EP im Gepäck auf eine Seite im Spex. Gerade eben – und zwei LPs später – haben die Düsseldorfer die Pole Position unter den „Newcomern“ im Leserpoll des Magazins übernommen. Angefangen hat das alles mit der Experimentalpopformation Deux Balaines Blanches, die zusammen mit der befreundeten holländischen Band Tresspassers W im Oktober 93 das Magazin Punt. plus Splitsingle herausgegeben hatte. Punt. featurete die Wohlfahrtsausschüsse – den jüngsten Versuch zur Politisierung der sogenannten Poplinken – und Politkunstprojekte wie Büro Bert.

Teile der Balaines Blanches fusionierten mit DJ Sport bald darauf zu Kreidler. Dort ließ man den Gesang fallen und Unterhaltungselektronik gegen eine Rhythmussektion aus Schlagzeug und Gitarre antreten – damals eine der wenigen Möglichkeiten, derart anachronistische Instrumente benutzen zu können, ohne sich gleich lächerlich zu machen. Während die eine Kreidler-Hälfte an billigen Synthesizern, Mischpulten und anderen Geräusche machenden Apparaturen herumschraubte, hantierte man in der anderen Ecke mit traditionellen Instrumenten.

Das erinnerte auf merkwürdige Weise an den legendären Kampf King Kong vs. Godzilla: Riesenechse trifft auf Gigantoroboter. Aber inzwischen werden ja ganze Marktsegmente von „Bands“ beherrscht, die es nicht trotz, sondern wegen Techno gibt. Anstelle der noch von Platte und CD in den Mix geworfenen Sounds auf Kreidlers Tape „Riva“ finden sich technoide Klangschleifen heute in den Strukturen der Stücke selbst wieder, aus den experimentellen Sessions wurde Pop, der die winterlichen Küchentische der WGs und Kommunen illuminierte. Gleichgeblieben ist allerdings das Bedürfnis, live eigentlich nicht anwesend zu sein, sozusagen grade mal als Soundquelle zu existieren. Sich selbst als Äquivalent einer klanggenerierenden Maschine zu verstehen, wird jedem SciFi-Leser höchst sympathisch vorkommen, der Rest kann das unter Konzeptionalität abbuchen.

Ihr Label Kiff SM hat sich dafür den smarten Begriff der „sachlichen Entertainer“ einfallen lassen. Tatsächlich können Kreidler, wie so manche Formation in der langen Geschichte des Pop, ihre Kunstakademieherkunft nur schwer verbergen, aber die Nähe zur Kunst hat ihren La Düsseldorf(er) Vorvätern wie Kraftwerk etc. ja schließlich auch nicht geschadet. Die Sofas im Roten Salon werden die entsprechend lässig-bequeme Unterlage abgeben. Ulrich Gutmair

22 Uhr, im Rahmen der Reihe „13 steps to the atom“. Support: Taschensport. Roter Salon der Volksbühne, Rosa-Luxemburg- Platz, Mitte.