Verenge deine Kulleraugen

Selbst die Natur wirkt wie gecastet in „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“. Die Romanverfilmung von Bille August eröffnet den Wettbewerb  ■ Von Thomas Groß

Die lustigste Stelle des Films ist die, in der Smilla-Darstellerin Julia Ormond mit ihrer eher rehisch zu nennenden Anmutung „Alles an mir ist schroff“ sagt – na ja: bellt. Zu bellen versucht. Und dabei ihre Kulleraugen „zu Schlitzen verengt“, wie die Regieanweisung gelautet haben könnte. Man glaubt ihr kein Wort, aber man weiß, was es bedeuten soll, und man ahnt, warum das so sein muß. Der Produzent heißt schließlich Bernd Eichinger. Außerdem haben wir das Buch gelesen.

Literaturverfilmungen haben es gut, weil ihnen immer schon eine Vorstellung vorausgegangen ist, im besten Fall um die ganze Welt; das Produkt hat sein Plätzchen im Regal gefunden, die Imagekampagne kann man sich schon einmal sparen (Synergieeffekt!). Literaturverfilmungen haben es ganz schön schwer, weil ihnen immer schon eine Vorstellung vorausgegangen ist; weil das einsame Phantasieren des Lesers, diese Welt nach den Buchstaben – im Grunde ja eine total interaktive Sache – zwangsläufig mit dem fertigen Filmbild kollidiert, das es Millionen gleichzeitig, farbig und großflächig recht machen will und schon deshalb einer ganz anderen Arithmetik folgt.

Smilla, die Halbgrönländerin, die Detektivin mit dem Gespür für Schnee, habe ich mir natürlich ganz anders vorgestellt: viel herber, kleinwüchsiger, missmarpliger und vom Leben angenagter. Auch entschieden idiosynkratischer, ausschweifender, weiter jenseits der Norm und neben der Kapp': ein schlechtgelauntes Fräuleinmonster, vielleicht ein wenig wie eine depressive Variante der Popsängerin Björk, die von Island aus mit ihrem Eskimogesicht in den Mainstream vorgedrungen ist (geht doch!).

In Bille Augusts Verfilmung des Bestsellers von Peter Høeg, mit der die diesjährige Berlinale eröffnet wird, ist Smilla eine Schönheit wie aus der „Ich rauche gern“- Kampagne, zusammen mit einigen Schneeflocken Zierde des Filmplakats. Verkaufsargument hin, Großproduktion her – die Energie einer Außenseiterin in Dänemark, dem Land des Vaters, aber auch der ehemaligen Kolonialherren, nimmt man dieser Jederfrau nicht ab.

Der Weltdäne August, mit dem Eichinger schon „Das Geisterhaus“ gedreht hat, läßt in der Eröffnungssequenz prächtig einen Meteoriten über Grönland niedergehen, bevor es zur Krimihandlung kommt, mit der auch das Buch beginnt: dem Tod eines Jungen. Vom Dach eines Wohnblocks ist er gestürzt – „da bricht der Organismus einfach zusammen“, wie der untersuchende Mediziner doziert.

Smilla aber kombiniert aus den Spuren im Schnee und den dunklen Zusammenhängen, zu denen sie schon bald führen, daß es Mord war, Mord an einem Kind der ohnehin geringgeschätzten grönländischen Minderheit in Dänemark, und sie wird den Nachweis mit ihren eigenen Methoden führen: einer Mischung aus exakter Beobachtung, Sympathie mit dem Opfer, Vertrauen auf Intuition und gegebenenfalls brutaler Tatkraft. Die Kamera zeigt dazu ein regennasses, menschenleeres, autodurchlichtertes Kopenhagen: Welt der Ämter und Gegenbild des zeitlosen nördlichen Eises, zugleich aber Ort der Individualisierung und der modernen Kulturtechniken, die ein Zurück nicht zulassen.

Smilla ist in beiden dieser Welten zu Hause und in keiner, sie ist Fährtenleserin, Kriminologin und Psychoanalytikerin, die Verkörperung verschiedener historischer Stufen der avancierten Lektüre – aber stets auf genial dilettantische Manier. Das macht den suspensesteigernden Sound des Buches aus: Høeg läßt seine Heldin plaudern, sich erinnern, Theorien bilden und wieder verwerfen. Der Mord liefert nur den Anlaß für die Ermittlungen einer Laienphilosophin gegen die zivilisierte Welt, in deren Verlauf sie zu Erkenntnissen über soziale Geometrie und Gletscherkunde gelangt.

Auch soll nicht verschwiegen sein, daß Smilla, wie jeder vernünftige Mensch der mittleren Generation, K-Gruppen-Sozialisation genossen hat. Eine Zeitlang agitierte sie für eine Assoziation progressiver Inuit, bevor ihr Blick – wir vermuten durch ausgedehnte Horkheimer-Lektüre – sich ins Soziophilosophische weitete. Wie sie die Männer beschreibt, die aufbrechen, um dem Eis skrupellos sein Geheimnis zu entreißen, hat jedenfalls unverkennbar Züge einer Kritik der instrumentellen Vernunft.

Vermutlich, weil das die Action gehemmt hätte, haben Eichinger/ August für den Film ganz auf einen Off-Kommentar der Heldin verzichtet, was schon vordergründig den Nachteil hat, daß Smilla ihr Gespür nun in die Kamera hinein extemporieren muß. Stirnrunzeln und reden, reden und Stirnrunzeln – das wirkt nicht so vorteilhaft!

Dem „Mechaniker“ (Gabriel Byrne), ihrem Ermittlungsgehilfen und zeitweiligen Geliebten, hält sie ellenlange Vorträge über euklidische Mathematik, die dieser aufgrund seiner tumben Charakterzeichnung nur mit Schweigen quittieren kann.

Ganz rausgefallen (bis auf einmal kurz nackt) sind bedauerlicherweise die Passagen, in denen Smilla ihr Verfeinerungsvermögen hinsichtlich Kulturtechniken auch erotisch einsetzt: „Wir stehen im Schlafzimmer und ziehen uns aus. Er hat eine leichte, tastende Brutalität, die mich mehrmals denken läßt, daß es mich diesmal den Verstand kosten wird. In unserem heraufdämmernden Verständnis bringe ich ihn dazu, den kleinen Spalt der Eichel zu öffnen, so daß ich die Klitoris einführen und ihn vögeln kann.“ Das verfilm erst mal!

Eichinger/August freilich ging es um anderes. Das dänisch-deutsche Raffen und Straffen am Romangerüst hat einen konventionellen, eher öden Thriller übriggelassen, der erst im zweiten Teil der Handlung zu leidlicher Form aufläuft. Ein Schiff ist auf dem Weg durchs Eismeer zum grönländischen Gela-Alta-Gletscher. Smilla hat sich als Wirtschafterin verdingt, weil sie weiß, was das Ziel dieser getarnten Expedition ist: der Meteor nämlich, der im Eise ruht wie das Plutonium im Castor (und – grusel! – genauso giftig ist). Tempo kommt auf, Spannung weniger.

Die Tatsache, daß die Besatzung des Seelenverkäufers ausschließlich aus Suchtbolzen, Glücksrittern und Herrenwissenschaftlern besteht, gibt Smilla Gelegenheit, in Kojen zu stöbern, den Frachtraum zu inspizieren und vor allem: gejagt zu werden. Wenn sie sich in Freeclimber-Manier über die Außenwand des Schiffes abseilt, darf sie endlich zeigen, was auch in ihr steckt: eine Actionheldin und Proto-Greenpeace-Aktivistin. Vor allem dieser Teil der Story, so war zu lesen, hat Peter Høeg auch beim amerikanischen Publikum auf die Bestsellerlisten gebracht. Und tatsächlich wäre es völlig verkehrt, in Høeg einen Hinterwäldlerschriftsteller zu sehen, der nur zufällig einen Hit gelandet hat. Vielmehr handelt es sich um eine Art dänischen Michael Crichton, einen Autor mit viel Gespür für populäre Themen und hohem Bewußtsein über das Pfund, mit dem er wuchert.

„Es ist schließlich doch eine sehr europäische Geschichte“, hat Eichinger treffend erkannt. Grönland, der wilde Norden der Alten Welt, ist Høeg der stahlblaugraue Hintergrund, auf dem er Sherlock Holmes mit James Bond zusammenbringt.

Das nennen wir dann Entertainment und freuen uns, daß unsere Bedürfnisse nach Walrettung, Ethnopolitik und gemeinem Thrill so schön in eins gehen. Schon deshalb läßt sich mit Høeg nicht das Abendland der Schrift gegen die böse Welt der Kulturindustrie retten: Das Buch selbst dient sich über weite Strecken der Verfilmung geradezu an.

Um so heftiger hätte man Smilla, dem Film eine weniger risikominimierte Produktion gewünscht. Eichinger hat wohl geglaubt, man müsse nur europäische Schauspieler (Mario Adorf, Vanessa Redgrave, Jürgen Vogel in Nebenrollen), einen europäischen Regisseur und einen europäischen Stoff an „Originalschauplätzen“ zusammenbringen, um international und auf Cinemascope die volle Atmo rüberzubringen. Das Resultat mag ihm an den Kassen recht geben, bleibt aber ambitioniert-industrielle Dutzendware. Selbst die Natur wirkt wie gecastet. Wenn am Ende der Gletscher kalbt, tut er dies für Bernd Eichingers Little Hollywood.

„Fräulein Smillas Gespür für Schnee“. D/DK 1996, 120 Min. Regie: Bille August. Mit: Julia Ormond, Gabriel Byrne, Mario Adorf, Vanessa Redgrave u.a.

Heute: 19.30 Uhr im Zoopalast; 14.2.: 12 Uhr im Royal Palast, 20 Uhr im International und 23.30 Uhr in der Urania