„Pieroth verfolgt falsche Projekte“

■ Vollrad Kuhn, bündnisgrüner Wirtschaftssprecher, im Interview: „Statt nur Existenzgründer auch bestehende Betriebe fördern“

taz: Der CDU-Wirtschaftssenator – ein Macher ohne Konzept. So lautete der Vorwurf Ihrer Partei an Elmar Pieroth heute bei der Debatte im Abgeordnetenhaus. Welches Programm für mehr Arbeitsplätze haben denn die Bündnisgrünen?

Vollrad Kuhn: In einigen Fragen wissen wir es besser als der Senator. Wir umschreiben unser Leitbild für die wirtschaftliche Entwicklung mit den Stichworten „ökologische Hauptstadt, Tor nach Osteuropa, Zentrum der Region Berlin/Brandenburg, Wissenschaftsstandort“.

Abgedroschene Begriffe. Nur bei der Ökologie unterscheidet sich Ihre Position von der des Senats.

Die Bündnisgrünen betonen außerdem mehr die Region. Als Leitprojekt schlagen wir die Verkehrswende vor. Das beinhaltet die Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs und die Förderung der regionalen Bahnverbindungen.

Wo fehlen Regionalstrecken?

Weil Brandenburg nicht mehr zahlen will, werden Regionalzüge vom Umland ins Stadtzentrum gestrichen.

Was kann da der Wirtschaftssenator tun?

Die Stadt müßte mehr Geld zur Verfügung stellen: höhere Zuschüsse für Bahnen und BVG.

Das soll Industriebetriebe retten und Arbeitsplätze schaffen?

Wenn die BVG mehr Geld ausgibt, kann sie größere Aufträge an die regionalen Hersteller von Schienenfahrzeugen erteilen.

Nehmen wir an, die Bündnisgrünen wären an der Regierung: Einen Ausgleich für die in den vergangenen Jahren vernichteten 250.000 Industriejobs könnten auch Sie nicht bringen.

Richtig, aber Pieroth verfolgt die falschen Projekte. Massiv fördert er Infrastrukturmaßnahmen wie Straßen in zukünftigen Industriegebieten. Da sollen sich dann die Existenzgründer ansiedeln, die 70 Stunden in der Woche arbeiten. Neue Betriebe lassen aber auf sich warten.

Der Gründerboom – eine trügerische Hoffnung?

Man muß mehr in schon bestehende kleine und mittlere Unternehmen investieren, damit sie sich zu Arbeitsgemeinschaften verbinden und auf den Märkten bestehen können.

Konzerne wie Schering, Siemens und Adtranz sollen nichts bekommen?

Jedenfalls nicht den Löwenanteil. Vor dem Hintergrund der ökologischen Vision brauchen wir ein zusätzliches Motorenwerk von Daimler-Benz oder eine weitere Chemiefabrik nicht unbedingt. Da investiert man lieber in die Verkehrs- und Solarenergiewende, die ökologische Stadtsanierung und Kreislauftwirtschaft. Interview: Hannes Koch