■ Albanien strauchelt im Umgestaltungsprozeß
: Verlorene Illusionen

„Europa“ und „Kapitalismus“ wurden in Albanien erst verteufelt, mit dem Systemwechsel dann zu Begriffen, die magisch Glück zu verheißen schienen. Jetzt wandten sich die Götter ab. Der Kollaps dubioser Geldanlageinstitute raubte vielen Familien Albaniens nicht nur ihr Geld, die Wohnung oder das Monatseinkommen vom Zinseszins, sondern auch die Illusion einer Umgestaltung in Richtung Europa.

„Nach Europa“ ist es aus Albanien nicht weit, mit Visum oder illegal. Auch politisch und wirtschaftlich schien man auf diesem Weg. Ärgerlich zwar die Kritik der OSZE an den Wahlen des letzten Jahres, doch die Regierung Sali Berishas konnte auf die konservative Räson Europas vertrauen, das lieber einen fragwürdigen Demokratisierungsprozeß bestätigte, als die Stabilität zu gefährden.

Experten lobten zudem seit 1993 hohe Wachstumsraten und Währungsstabilität. Erfolgreiche Reformen, Devisentransfers der Auslandsalbaner und der Geldfluß internationaler Entwicklungszusammenarbeit galten als Gründe.

Doch albanische Magie steht auf anders konstruierten Säulen. Vier der obskuren Finanzierungsgesellschaften existieren noch, darunter die sogenannte Vefa, von der es heißt, sie sei Geldwaschanlage und Sponsorin der Regierung. Nach dem letzten Wahlsieg der Regierungspartei vervielfachten sich die privaten Einzahlungen. Lokale Regierungsvertreter garantierten öffentlich Sicherheiten. Doch defizitäre Investitionen zogen auch den Wert der Vefa als Unternehmen in Zweifel. Sie reduzierte nun die Zinsen und halbierte die Löhne ihrer Angestellten. Kollabiert die Vefa, droht der landesweite Ausnahmezustand.

Vefa investierte wie die anderen Fonds riesige Summen in Nationalspektakel, die dem als „Armenhaus Europas“ bekannten Land zu neuem, patriotischem Selbstwertgefühl verhalfen. Demgegenüber verhallten Warnungen der Weltbank ebenso wie die Stimmen kritischer Journalisten, die die selbstvernichtende Dynamik der Pyramidensysteme erklärten. Doch die Magie kapitalistischen Glamours und überwältigender Zinsen war stärker. In eskalierender Gewalt trifft die Wut der Frustrierten jetzt auf verzweifelte Maßnahmen einer Regierung in Agonie. Noch ist der Zauber nicht vorbei. Daß die albanische Demokratie auf Sand stand, wird teuer, auch für Europa. Stephanie Schwandner-Sievers

Ethnologin am Osteuropa-Institut der FU Berlin