■ Mit dem Sozialabbau auf du und du:
: Ärzte sollen helfen

Berlin (taz) – Das Handelsblatt hat einen Skandal entdeckt, der eigentlich niemand überraschen dürfte. Ein Hamburger Unternehmen für Autozubehör, die Phoenix AG, bat ÄrztInnen um Hilfe bei der Ausplünderung der deutschen Sozialkassen. In einem Brief, „nur zur Vorlage an den behandelnden Arzt“, wies das Unternehmen darauf hin, daß „der Ihnen als Patient bekannte Mitarbeiter unseres Hauses“ den Wunsch hege, „über den Weg des Arbeitsamtes in den wohlverdienten Ruhestand zu gehen“. Tatsächlich lag der Wunsch natürlich vor allem auf seiten der Phoenix AG. Denn so konnte sie MitarbeiterInnen auf Kosten der Arbeitslosenversicherung entlassen, ohne mit sozialen Turbulenzen rechnen zu müssen.

Voraussetzung hierfür aber waren ärztliche Atteste. Und damit nichts schiefging, erklärte die Phoenix AG den ÄrztInnen auch noch ganz genau, wie sie das Attest formulieren sollten: „... aus den genannten Gründen kann Herr/Frau ... körperliche Arbeit nicht mehr durchführen. Aus ärztlichen und medizinischen Gründen ist deshalb die Aufgabe des bisherigen Arbeitsplatzes erforderlich“.

„Diese Praxis steht stellvertretend für zigtausend Fälle“, erklärte CSU-Sozialexperte Peter Keller. Und das Handelsblatt wies die Unternehmerschaft auf ihre „Mitschuld an steigenden Sozialbeiträgen“ hin.

Das Unrechtsbewußtsein der Phoenix AG ist allerdings begrenzt. Es handele sich bei dem aufgeflogenen Standardbrief nur um eine „Formulierungshilfe“ für den behandelnden Arzt, erklärte Personalchef Meinhard Liebing. In dem Arztschreiben habe man sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Atteste von den Arbeitsämtern überprüft werden.

Auch die jüngste und die nächste Gesetzesänderung zum Vorruhestand können diese Mißbrauchsmöglichkeit nicht beseitigen. Nach einer Kanzlerrunde im Vorjahr wurde mit Einverständnis der Sozialpartner angeordnet, daß der vorzeitige Ruhestand zu Abschlägen in Höhe von 3,6 Prozent der Rente pro Jahr führen soll. Im Rahmen der Rentenreform sollen die Abschläge auch auf den Fall erstreckt werden, daß vor Erreichen des Rentenalters eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezogen wird. Beide Regelungen machen es zwar für ArbeitgeberInnen teurer, ihre älteren MalocherInnen geräuschlos über die Sozialkassen zu entsorgen. Möglich ist dies aber immer noch.

„Es gibt immer Leute mit einem kriminellen Instinkt“, sinnierte Rudolf Dressler (SPD). Ob das Schreiben derartiger Briefe allerdings tatsächlich eine Straftat darstellt, dürfte fraglich sein. Schließlich wurde auf die ÄrztInnen weder Druck ausgeübt noch wurden ihnen Belohnungen versprochen. chr