Sternburg-Bier säuft ab

Das wirtschaftlich gesunde Leipziger Brauhaus zu Reudnitz soll der Mißwirtschaft der Brau und Brunnen AG geopfert werden  ■ Aus Leipzig Stefan Schroeter

Hans-Jürgen Amelung ist sicher schon manchmal um seinen Arbeitsplatz beneidet worden. Dem Betriebselektriker an der Abfüllanlage im Leipziger Brauhaus zu Reudnitz ist freilich derzeit überhaupt nicht fröhlich zumute. Der Dortmunder Getränkekonzern Brau und Brunnen will seine Brauerei im Herzen Leipzigs zum Jahresende schließen. „Ich bin 47 Jahre alt“, sagt Amelung. „Ich wüßte nicht, wie es weitergehen soll – bei der Situation auf dem Arbeitsmarkt.“

Amelung wäre dann zum zweiten Mal arbeitslos. Nachdem Brau und Brunnen 1991 die Reudnitzer Brauerei und die Sternburg- Brauerei in Lützschena bei Leipzig erworben hatte, war sein Betriebsteil stillgelegt worden. Erst zwei Jahre später kam er wieder bei der alten Firma unter. Dichtgemacht hatten die Dortmunder auch die Sternburg-Brauerei; das in ganz Ostdeutschland gern getrunkene Bier ließen sie in der Leipziger Brauerei neben der regionalen Marke Reudnitzer weiter produzieren. Dort wurde freilich weiter bierernst rationalisiert: Von einst 1.000 Arbeitsplätzen in den Brauereien Reudnitz und Lützschena ließ der Konzern noch ganze 170 übrig.

„Wir sind an einem Punkt angekommen, wo kaum noch ein Personalabbau möglich gewesen wäre“, so Betriebsrätin Bärbel Meißner. „Die Mitarbeiter dachten eigentlich, daß sie jetzt für eine gewisse Zeit einen sicheren Arbeitsplatz haben.“ Mit 4.000 Hektolitern Bier pro Jahr und Kopf liegen sie laut Meißner bundesweit in der Produktivität an der Spitze. Und nach roten Zahlen in den ersten Jahren – verursacht durch Investitionen in Höhe von 80 Millionen Mark – spülten sie dem Konzern im vergangenen Jahr etwa eine Million Mark Gewinn in die Kasse.

Aber die gute Arbeit in Reudnitz zählt nicht viel angesichts der Mißwirtschaft bei Brau und Brunnen. Der größte deutsche Getränke-Konzern hat seit 1988 massenhaft Brauereien aufgekauft, seinen Umsatz auf zwei Milliarden Mark verdoppelt und sich dabei völlig übernommen. Für 1996 rechnet der Konzern, der unter anderem die Marken Jever, Brinkhoffs Nr. 1, Schultheiss und Berliner Pilsener herstellt, mit einem Verlust in dreistelliger Millionenhöhe. Um angesichts von 850 Millionen Mark Schulden überhaupt weiter wirtschaften zu können, verscherbelte Konzernchef Friedrich Ebeling zum Jahresende schon 55 Immobilien für 100 Millionen Mark an eine Immobiliengesellschaft der beiden Hauptaktionäre Bayerische Hypothekenbank und Dresdner Bank.

Der taumelnde Bierriese will sich nun retten, indem er die Reudnitzer Brauerei sowie die Hamburger Bavaria-St.Pauli-Brauerei schließt. Mit den bisher dort gebrauten Markenbieren sollen die Überkapazitäten anderswo ausgelastet werden. Das Sternburg-Bier, das zwei Drittel der Reudnitzer Produktion ausmacht, will Ebeling künftig in Berlin oder Frankfurt/ Oder abfüllen lassen.

Doch die Reudnitzer Brauer verteidigen die wenigen verbliebenen Arbeitsplätze. Der Leipziger Regierungspräsident Christian Steinbach sieht in dem Bierproduzenten ein „Symbol für diese Stadt“ und hat mit Leipzigs Oberbürgermeister Hinrich Lehmann- Grube, den Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden ein Aktionsbündnis zur Rettung des Brauhauses gegründet. Mit Demonstrationen, Unterschriftensammlungen und einer Anzeigenkampagne wollen die Leipziger erreichen, daß der Konzernaufsichtsrat bei seiner heutigen Sitzung das Schließungskonzept des Vorstands ablehnt.

Und auch in Hamburg bei der traditionsreichen Bavaria- St.Pauli-Brauerei will die Belegschaft für den Erhalt des Standortes kämpfen. Nach Angaben des Betriebsrats geht es um 500 Arbeitsplätze, das Unternehmen spricht von 260. Vor der entscheidenden Aufsichtsratssitzung von Brau und Brunnen am heutigen Donnerstag wollen Mitarbeiter aus den Brauereien in Hamburg und Leipzig gegen die Schließungen demonstrieren.