Mexiko rechnet sich nach dem Finanz-Crash reich

■ Zwei Jahre nach dem Desaster hat Mexiko seine Schulden abgezahlt. Die Wirtschaftszahlen scheinen wunderbar, doch die Bevölkerung ist ärmer denn je

Mexiko-City (taz) – Den ökonomischen Kassandrarufen zum Trotz hat der mexikanische Staatspräsident Ernesto Zedillo im Januar stolz verkündet, daß das Land seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber der US-Regierung bis auf den letzten Centavo nachgekommen sei – sogar noch vor Ablauf der Frist. Mit der letzten Rate über 3,5 Milliarden Dollar begleiche Mexiko endlich seine „Tequila-Schuld“ über 20 Milliarden Dollar, den Bill Clinton seinem südlichen Handelspartner 1995 nach dem Crash besorgt hatte. Der Internationale Währungsfonds bekam 1,5 Milliarden Dollar zurück, die verbleibenden elf werden bis zur Jahrtausendwende gestreckt.

Genaugenommen ist die spektakuläre Rückzahlung nichts als eine geschickte Umstrukturierung: Um das politisch delikate US-Darlehen – das das Land 1,7 Milliarden Dollar Zinsen gekostet hat – abzubezahlen, hat Mexiko auf den internationalen Kapitalmärkten langfristige und billige Kredite aufgenommen. Die Auslandsverschuldung bleibt also. Mit seinem 160-Milliarden-Saldo, mehr als die Hälfte des Bruttoinlandsaprodukts, war Mexiko 1996 damit eines der höchstverschuldeten Länder der Dritten Welt.

Doch dies ist symptomatisch für das Krisenmanagement von Zedillo. Er braucht zum dritten Jahrestag des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens Nafta dringend Erfolgsmeldungen, um in- und ausländische Gemüter zu beruhigen. Denn nur mit dem Mokro-Blick scheint sich die mexikanische Wirtschaft zu erholen: Nach dem Rekord-Einbruch von 7,5 Prozent 1995, verzeichnen die Statistiker für 1996 wieder ein Wirtschaftswachstum von knapp 4 Prozent. Die Inflation, die 1995 von 7 auf 52 Prozent geklettert war, konnte 1996 halbiert werden.

Bergauf aber geht es noch lange nicht: Das reale Inlandsprodukt ist so groß wie 1993 und pro Kopf sogar um 4,5 Prozent niedriger als vor dem Nafta-Start. Die Investitionen liegen 18 Prozent unter dem 1993er Niveau. Der vielbeschworene Aufschwung beim Lebensstandard fehlt ebenfalls: Fast eine Million Menschen haben im Krisenjahr 1995 ihre Arbeit verloren, die Löhne verloren zwischen 20 und 37 Prozent ihrer Kaufkraft. Seit Beginn der Liberalisierungsstrategie mit dem Beitritt Mexikos zum Gatt 1986 klafft die Lohn- Preis-Schere auseinander. Die Kaufkraft des gesetzlichen Mindestlohns ist seit 1987 um fast 70 Prozent zurückgegangen. Laut einer Studie des Unternehmerverbandes Coparmex verdienen heute 65 Prozent aller Beschäftigten weniger als zwei Mindestlöhne, 19 Prozent gar weniger als einen und 15 Prozent arbeiten ohne jede Entlohnung. Konnte eine Mindestlohnempfängerin vor zehn Jahren noch 32 Kilo Tortillas und 29 Liter Milch von ihren Einkünften kaufen, so sind es heute gerade mal 15 Kilo und knapp neun Liter Milch.

Wie die mexikanische Zeitung La Jornada vorrechnet, sind ohnehin lediglich 9,3 der insgesamt 36 Millionen arbeitsfähigen MexikanerInnen sozialversichert, sprich: formal beschäftigt. Die anderen 24 Millionen verdingen sich als Schuhputzer oder Straßenverkäuferin, Hausangestellte oder Kleinkriminelle. Die mit der Liberalisierung einhergehende Verdrängung des heimischen Gewerbes führt, so der Ökonom Enrique Dussel Peters, zu einem „zunehmenden Ausschluß eines Großteils der mexikanischen Arbeitskraft“. Die Zukunftsaussichten sind nicht rosig: Allein um die jährlich neu auf den Arbeitsmarkt drängenden Menschen zu beschäftigen, müßte die mexikanische Wirtschaft im Jahr rund 12 Prozent wachsen – eine unrealistische Zielgröße.

Das Heer der extrem Armen ist unter Zedillo noch um rund eine Million angewachsen. Nach offiziellen Statistiken leben 42 Millionen MexikanerInnen heute an oder unter der Armutsgrenze. Eine Umverteilung von unten nach oben hat der Wirtschaftswissenschaftler Julio Boltvinik für die vergangene Freihandelsdekade errechnet: Besaß das reichste Bevölkerungszehntel 1984 nur achtundzwanzigmal soviel wie die ärmsten zehn Prozent, so nennen die Reichen heute etwa vierzigmal soviel ihr eigen wie die untersten Zehntausend. Einen echten Aufschwung erleben derzeit die mexikanischen Multimillionäre: Nach dem Krisenjahr 1995 blieben von 25 gerade mal zehn Superreiche übrig, doch schon 1996 lebten in Mexiko wieder 15 Multimillionäre. Sie besitzen zusammen etwa 9 Prozent des mexikanischen Sozialprodukts. Anne Huffschmid