Das serbische Parlament hat am Dienstag abend die Siege der Opposition bei den Kommunalwahlen vom November anerkannt. Die Führung der Bewegung traut Präsident Milošević aber nach wie vor nicht über den Weg. Aus Belgrad Erich Rathfelder

Später Sieg für Serbiens Opposition

Die Euphorie, mit der am Dienstag abend Zehntausende Demonstranten in Belgrad auf die Entscheidung des serbischen Parlaments reagierten, die Kommunalwahlergebisse vom 17. November doch noch anzuerkennen, war bereits gestern der Ernüchterung gewichen. Zwar sind jetzt per Sondergesetz die Wahlsiege der Opposition in 14 Gemeinden nachträglich anerkannt worden. Dennoch bleiben Zweifel, ob das ganze Manöver zu einer wirklichen Übereinkunft zwischen Regierung und Opposition führen kann.

In einer ersten Stellungnahme erklärte Oppositionsführer Zoran Djindjić, die Oppositionsbewegung werde trotz dieses Erfolges weiter aktiv sein – „so lange, bis eine grundsätzliche Demokratisierung in diesem Land erreicht ist“. Auch Vuk Drašković, der Führer der Serbischen Erneuerungsbewegung, sagte, man dürfe sich nicht darauf verlassen, daß Präsident Milošević die versprochenen Maßnahmen wirklich ergreife. Denn dem sei nicht zu trauen.

Auch die Studenten sehen keinen Grund, jetzt mit den Protesten aufzuhören. Am Dientag nachmittag hatten sich rund 40.000 Studenten vor dem Parlament versammelt; dort wurde dann ein riesiges, von Kunststudenten gefertigtes Plastikgehirn abgelegt, um die Abgeordneten daran zu erinnern, daß sie „ihren Kopf auch benutzen könnten“.

Immerhin, das Rumpfparlament hat entschieden. In dem 250 Sitze umfassenden serbischen Parlament sind nach dem Auszug einiger Oppositionsparteien vor eineinhalb Jahren nur noch die regierenden Sozialisten mit 123 Sitzen, die nationalistische Radikale Partei SRS mit 39 Sitzen sowie die Neue Demokratie mit 6 Sitzen vertreten. Das bei den letzten Wahlen in Serbien angetretene Oppositionsbündnis Depos (39), die Demokratische Partei (21) und die Demokratische Partei Serbiens (7) nahmen an der Abstimmung am Dienstag nicht teil. Kurz vor dem Ende der Abstimmung war nicht klar, ob die Sozialistische Partei die einfache Mehrheit erhalten würde. Am Abend wurde die Vorlage dann mit 128 Jastimmen bei zwei Enthaltungen ohne Gegenstimme gebilligt.

Die Abstimmung war ein „ungewöhnlicher Vorgang“ in einer „ungewöhnlichen Zeit“, wie es ein Parlamentsabgeordneter der regierenden Sozialisten ausdrückte. Denn die ganze Prozedur ist verfassungsrechtlich höchst fragwürdig. Ein Sondergesetz zu verabschieden, ist im Grunde verfassungswidrig. Aber weil die gefälschten Wahlergebnisse zunächst von den Wahlkommissionen und vom höchsten serbischen Gericht bestätigt worden waren, wurde mit dem Sondergesetz ein politischer Weg zur Entspannung der Lage aufgezeigt. Indem Milošević in der letzten Woche in einem Brief an den serbischen Premier Mirko Marjanović die Regierung und das Parlament aufgefordert hatte, durch ein Gesetzespaket den Forderungen der Opposition entgegenzukommen, sollte der Konflikt entschärft werden.

So jedenfalls wird der Vorgang von Oppositionellen des Bündnisses „Zajedno“ (Gemeinsam) gedeutet. Selbst Redner der im serbischen Rumpfparlament vertretenen Radikalen Partei des Nationalistenführers Vojislav Seselj betonten den taktischen Charakter des Vorgehens. Sie forderten eine allgemeingültige Gesetzgebung statt spezieller Gesetze, die von Fall zu Fall erlassen würden. So werden im Artikel 1 des Gesetzes alle Gemeinden aufgeführt, in denen Unregelmäßigkeiten aufgetreten sein sollen. In Artikel 2 heißt es, die Wahlkommissionen dieser Gemeinden sollten innerhalb von drei Tagen nach Inkrafttreten des Gesetzes die regulär gewählten Abgeordneten zusammenrufen. Würde dies nicht geschehen, könnte das Justizministerium innerhalb von weiteren 48 Stunden einschreiten. Nach Abschluß dieser Prozedur ist der Rechtsweg ausgeschlossen. „Das könnte auch die Legalisierung des Wahlbetrugs bedeuten“, sagt Professor Dragor Hiber, der rechtspolitische Sprecher des Oppositionsbündnisses Zajedno. „Nun hängt alles vom guten Willen Miloševićs ab. Nur er kann seine Leute anweisen, die Wahlergebnisse zu akzeptieren.“

Die Führungen der Oppositionsparteien sind sich noch nicht sicher, welche Gegenstrategie anzuwenden ist (vgl. Artikel unten). Zajedno und die Studenten wollen auf jeden Fall so lange weiterdemonstrieren, bis alle gewählten Abgeordneten die ihnen zustehenden Sitze eingenommen haben und bis die Verantwortlichen für den Wahlbetrug bestraft sind. Dann wird ein Runder Tisch angepeilt, an dem über das Procedere für die kommenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Serbien und über die Pressefreiheit diskutiert werden soll; vor Ende November diesen Jahres müssen diese Wahlen stattfinden.

Selbst Tomislav Nikolić, Sprecher der rechten Radikalen Partei im Parlament, bedauerte, daß so viel Zeit verlorengehen mußte, um Konsequenzen aus dem Wahldebakel zu ziehen. Er beklagte allerdings auch, daß Milošević erst auf Druck des Auslandes reagiert habe und interpretierte diesen Druck als „Einmischung in die inneren Angelegenheiten Serbiens“.

Im serbischen Parlament wurde am Dienstag auch die serbische Regierung per Abstimmung umgebildet. Es sind elf neue Minister ernannt worden, deren Namen nicht einmal Kennern der innenpolitischen Szene Serbiens geläufig sind. Lediglich die Ernennung der kompromißlosen Anhängerin von Präsident Milošević, die Universitätsprofessorin Radmila Milentijević, zur Informationsministerin war erwartet worden. Das neu gebildete Ministerium für Privatisierung wird mit Milan Beko besetzt, der eine tiefgreifende Wirtschaftsreform einleiten soll.