Tödliche „Menschenversuche“?

■ Forderte Strahlenstudie am UKE 5 Todesopfer? / Neue Vorwürfe gegen Chef-Radiologen Hübener / Untersuchungsausschuß gefordert Von Marco Carini

Der UKE-Strahlenskandal um den Ex-Radiologie-Chef Klaus-Henning Hübener weitet sich aus. Zwei Jahre lang wurden 32 an Speiseröhrenkrebs erkrankte Patienten möglicherweise als „Versuchskaninchen“ mißbraucht, indem sie mit einer kaum erprobten Kombination aus Chemo- und Strahlentherapie behandelt wurden.

Mit tödlichen Folgen. „Mindestens fünf Patienten sind nachweislich an den Folgen dieser Therapie und nicht an ihrer Krebserkrankung gestorben“, erhebt der Arzt und GAL-Bürgerschaftler Peter Zamory schwerwiegende Vorwürfe.

UKE-Direktor Heinz-Peter Leichtweiß hingegen weist solche Anschuldigungen kategorisch zurück: „Hier wurde ein verzweifelter Versuch unternommen, dem Tode geweihten Menschen zu helfen. Von Menschenversuchen kann keine Rede sein“. Das sieht Zamory anders: „Die Staatsanwaltschaft muß prüfen, ob hier Körperverletzung mit Todesfolge vorliegt.“

Unbestritten ist, daß mindestens 16 Speiseröhrenkrebs-Patienten vor ihrer Operation sowohl mit einer besonders stark belastenden Form der Strahlentherapie und zusätzlich mit Chemotherapie behandelt wurden. „Diese Therapie entspricht eindeutig nicht den medizinischen Standards“, erklärt Zamory. Leichtweiß hingegen spricht davon, „daß die Standards in einer etwas anderen Kombination“ als üblich angewendet wurden. Unstrittig ist nur das Ergebnis: Da mindestens fünf Erkrankte infolge des Therapie-Doppelpacks starben, wurde diese Behandlung nach zwei Jahren wieder eingestellt.

Umstritten ist auch, ob die „Studie“, in deren Rahmen die Sonderbehandlung stattfand, von der Ethik-Kommission der Ärztekammer hätte genehmigt werden müssen. Leichtweiß spricht von „einer Vorstudie“, die nach Meinung der behandelnden Ärzte nicht hätte angemeldet werden müssen, da „keine grundsätzlich neuen Therapieverfahren“ angewendet wurden.

Der Klinik-Direktor räumte allerdings ein, daß heute die EthikKommission von einem solchen Experiment unterrichtet werden müßte. Aufgrund der Rechtsunsicherheit in der Hansestadt habe das UKE Mitte vergangenen Jahres beschlossen, medizinische Studien generell anzumelden. Aus Reihen der Hamburger Ärztekammer und der Ethikkommission wurde allerdings gestern die Einschätzung laut, auch die Speiseröhren-Studie hätte nach der 1975 verabschiedeten Deklaration von Helsinki zwingend angemeldet werden müssen. Die UKE-Ärzte hätten zumindest gegen internationales Standesrecht verstoßen.

Ungeklärt ist auch, ob die schwererkrankten „Studienobjekte“ umfassend über die hohen Risiken der unüblichen Kombi-Behandlung informiert wurden. Während Leichtweiß nach Informationen der taz in einem Brief vom 23.Dezember schreibt, die Patienten hätten keine Sonderaufklärung erhalten, betonte er gestern: „Alle Patienten wurden umfassend informiert“. In dem Schriftstück hatte Leichtweiß zudem – abweichend von seiner gestrigen Erklärung – betont, bei der Behandlung sei die „Standardtherapie modifiziert“, also von ihr abgewichen worden.

Die Wissenschaftsbehörde reagierte auf die Vorwürfe, indem sie vergangenen Freitag eine „Vorabverfügung“ mit verbindlichen Anweisungen zur Patientenaufklärung und der Vorlage von Forschungsvorhaben an die Ethikkommission erließ. Zudem gab sie eine Untersuchung an der Uni Kiel in Auftrag. Sie soll klären, ob die Lebenserwartung der Speiseröhren-Patienten durch die Behandlung verkürzt wurde.

Eine weitere Konsequenz der jetzt neuen Vorwürfe könnte die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Strahlenskandal sein, den die GAL seit Monaten fordert. Gestern sprach sich nun auch der gesundheitspolitische Sprecher der CDU, Sieghard-Carsten Kampf, für seine Einrichtung aus.