Charakter am Werk

■ NDR-Kammerkonzert: Anton Webern schlägt J. M. Hauer in Sachen Atonalität

Er war ein Außenseiter. Ein fern aller Konventionen komponierender Zweifler: Joseph Matthias Hauer, der 1883 in der Wiener Neustadt geborene Komponist. Hauer warf die traditionellen Tonarten über Bord und gelangte noch vor Arnold Schönberg zu einer Form der Zwölftontechnik – so zumindest will es die Überlieferung. Was im fünften Kammerkonzert von den Mitgliedern des NDR-Sinfonieorchesters von Joseph Matthias Hauer zu hören war, erfüllte jedoch nicht die Ansprüche, die das Programmheft geweckt hatte. Von der Atonalen Musik opus 20 für Klavier von 1920 bis zum Zwölftonspiel für Violine und Klavier aus dem Jahre 1956 blieb diese Musik spannungsfrei und brav.

Hauer greift auf alle Zutaten zurück, die im Regal stehen. Er nimmt eine Prise Rhythmik und eine Spur Humor des Bela Bartok, durchzieht sie mit einem Dutzend großer Wendungen aus der Romantik, mit Melodiebögen, die von den anderen Instrumenten leider viel zu fett unterlegt werden. Ein wenig Chopin schmeckt da durch, leicht aufgelockert durch die Einfachheit eines Satie, eingelegt in ein atonales Bad, bis sich die Stückchen leicht verfärben. Aber eben immer nur leicht: Es sind nette Stückchen, angenehm zu hören, ohne Brüche, ohne Kanten.

Für Neu-Einsteiger in die Zwölftonmusik ist Hauer die ideale Schonkost. Seine Werke sind noch sehr tonal, Akkorde im Hintergrund unterstützen das Hören, das an Tonarten gewöhnt ist. In die „Tropen“ – zwei Kombinationen aus sechs Tönen, die sich zur Zwölftongruppe ergänzen – integriert der Komponist in verläßlichen Abständen einen Grundton, von dem aus sich das Laufen in der chromatischen Reihe gefahrlos proben läßt.

Ganz anders das Werk von Anton Webern. Hier wird Hören wirklich zum Abenteuer. Im Rondo für Streichquartett schraubt sich das Thema durch die hohen Töne ins Nichts – und kehrt nach einem Moment der Stille verwandelt zurück. Wie in einem senkrecht stehenden Karussell steht einen Moment lang alles kopf, um im nächsten Moment beschleunigt in den Reigen zurückzufallen.

Vor allem aber die Sechs Bagatellen für Streichquartett op. 9 sind ein Wagnis. Die Stücke dauern jeweils nicht einmal zwei Minuten – manche sind nur ein paar Takte lang. Hier hat Webern den musikalischen Einfall destilliert, bis nur ein einziger Tropfen übrigblieb. Die in sich schlüssige Zurückhaltung, mit der die Ausführenden den Komponisten interpretierten, zeigte deutlich, daß bei Webern ein Charakter am Werk war, nicht der Erfinder einer Methode. Das ist es schließlich, was gute Musik ausmacht. Gabriele Wittmann