Wie pervers!

■ „Sexual Perversity in Chicago“: Statt Exkrementen-Schlacht urkomische Orgasmen

Pervers sein, heißt: anders sein, verdreht sein. So pervers verdreht wie die frustrierten Junggesellen Dan und Bernie, die im Chicago der 90er Jahre auf Frauenfang gehen – und dabei in dem Drama „Sexual Perversity in Chicago“ von David Mamet zu fast professionellen Sado-Masochisten mutieren. Diese verdrehte Welt ist jetzt im Jungen Theater zu sehen – wo Dildos fliegen, Gürtel klatschen und Wörter wie „Ficken“, „Bumsen“ und „Titten“ wie Pfeile durch die Luft schießen.

Diese Wörter ziehen sich wie Perlen an einer Kette durch das Drama von David Mamet, dem amerikanischen Dramatiker, preisgekrönten Drehbuchautor und Filmregisseur. „Sexual Perversity in Chicago“ entstand in den 70er Jahren, spielt in der Großstadt Chicago und bildet den Alltag junger Singles ab. Ein Alltag, in dem Mamet eine abartige Perversion ausgemacht hat. Dort nämlich tummeln sich die wahren Exhibitionisten und Sado-Masochisten, die den ganzen Tag von „Titten“ und „Ärschen“ reden. „Verfall“, nennt Mamet so etwas – weil Liebe unmöglich bleibt und ein harter Geschlechterkampf die menschlichen Geister unglücklich macht. Doch von stinkigem und miefigem Großstadtsumpf ist in der Bremer Inszenierung nichts zu spüren: Wer eine harte Exkrementen-Schlacht erwartet hatte, wurde glücklicherweise bitter enttäuscht.

Denn wenn Klugscheißer und Egoman Bernie seinem Kumpel Dan die neuesten Sexabenteuer auftischt, entbehrt das nicht einer gewissen Komik – einer fast schon tragischen Komik, mit der die Regisseurin Sybille Linke immer wieder böse Spielchen treibt. Da tänzeln die beiden Single-Frauen Joan und Deborah unbeholfen über die Bühne und rutschen schließlich auf ihren Stöckelschuhen aus. Oder fressen Kellogs „Loops“ aus der Tüte, während sie sich über die „vorzeitige Ejakulation“ ihres Lovers beklagen. Dabei sind die Rollen seltsam vertauscht: Denn Deborah und Joan werden von staksigen Männern mit lustigen Perücken auf dem Kopf gespielt, während Dan und Bernie als verkleidete Frauen daherkommen.

In den Frust der Kellogs mümmelnden Joan mischt sich schließlich Wut: Die frustrierte Kindergärtnerin peitscht plötzlich wildgeworden und erregt in freiem Oberkörper mit einem Gürtel herum (herrlich agressiv und zugleich komisch gespielt von Erkan Altun): Weil sie Kinder beim Doktorspielen im Gebüsch erwischt – und sich selber irgendwie daran aufgeilen muß.

Geilheit, die sich an diesem Abend immer wieder in zu Lachsalven hinreißenden Varianten präsentierte – mit klatschnassen herausgestreckten Zungen, zackigen Hündchen-Stellungen und stöhnenden Schauspielern, die mit Perlonstrumpf-hosen über dem Kopf und rosaroten Gummihandschuhen einen Orgasmus vortäuschen.

Komisch, aber auch zugleich bitterböse kommt „Sexual Perversity“ im Jungen Theater daher, um das Mametsche Tollhaus schließlich perfekt zu machen: Der Klugscheißer Bernie (gespielt von Marion Freundorfer – „Macht hat auch mit Verantwortung zu tun. Merk Dir das, Dan“) verkommt mit spitzer Schnauze zum Frauen-Hasser, als schließlich sein Kumpel Dan unerwartet mit Deborah anbändelt („Du hast einfach das Fotzenfieber, Dan“). Da wird die erst schüchterne Deborah im Streit mit ihrem Freund Dan zur Kampfesnatur, die sich leider schließlich lieber selbst mit den eigenen Händen schlägt – bis es immer lauter klatscht und klatscht und klatscht.

Wenn dann noch – nett von der eigentlichen Textfassung abgehoben – der Dildo zum Mikrofon einer Talkshow für Sexerlebnisse wird und Kumpel Dan als Schnulzensänger dem Publikum noch eine „message“ zukommen läßt (“Open your heart and believe in the power of love. We can change the world“) – dann ist die urkomische Verdrehung perfekt. Dann fühlt mensch Zuschauer sich einfach gut. So „verdammt gut“ wie die ganz normalen Exhibitionisten Bernie und Dan, die in der Schlußszene „Puppen“ am Strand beäugen und sich darüber ärgern, daß man ihnen in den Ausschnitt gucken kann: "Da krieg ich ne verdammte Scheißwut“, sagt Bernie. Welch tragisch-komische Kreaturen. Katja Ubben

Aufführungen bis 12. Februar, sowie 25.02. bis 02.03. und 12. bis 16.03. Jeweils um 20.30 Uhr.