Bis Blut kommt

Millers „Hexenjagd“ gehört längst zur Folkore des Polittheaters – Nicholas Hytners Neuverfilmung mit Winona Ryder läuft im Wettbewerb  ■ Von Mariam Niroumand

Der große Trick bei den Hexenprozessen in Salem 1692 war die Einführung der sogenannten spectral evidence. Wenn einer schwor, ein anderer haben seinen Geist ausgeschickt, ihn zu würgen, zu kitzeln oder zu vergiften, das Vieh malad zu machen oder seine Gedanken und Handlungen zu kontrollieren, dann konnte der andere gehenkt werden. Es sei denn, er gestand, mit dem Teufel im Bunde gewesen zu sein – ein Geständnis, dem er durch die Beschuldigung anderer Leute zusätzliche Glaubwürdigkeit verleihen konnte.

Als die Hexenjagd begann, war Massachusetts schon drei Jahre lang ohne eine echte Regierung gewesen. Die ursprüngliche, repräsentativ gewählte war 1686 durch eine Art königliche Diktatur ersetzt worden, die drei Jahre später durch eine Minirevolution abgesetzt wurde. Irgendwie hatte es der englische König dann versäumt, die Kolonie mit einer neuen Vertretung auszustatten.

Als der neue Gouverneur schließlich 1692 eintraf, fand er die Gefängnisse zum Bersten voll mit angeblichen Hexen. Die provisorische Regierung hatte es nicht gewagt, die Verdächtigen abzuurteilen. Erst unter dem neuen Gouverneur kam es zu den 72 Todesurteilen, zu denen zuvor Verhöre durch kirchliche Würdenträger stattgefunden hatten.

Regisseur Nicholas Hytner hat bereits in „The Madness of King George“ sein Interesse an Phasen des Interregnums und Machtvakuums bekundet, das dann durch Wahnsinn und Paranoia ein ganz eigenes „Gesetz“ erhält. In Zusammenarbeit mit Arthur Miller hat er für die „Hexenjagd“ der dramatischen Einfachheit halber die Verästelungen des Prozesses so zusammengefaßt, als seien sie einer amoklaufenden Theokratie entsprungen, die ihrerseits nur reagiert auf die Hysterie, die mit dem sexuellen Erwachen einer Gruppe junger Mädchen einhergeht.

Der Film beginnt mit der Schlüsselszene im nächtlichen Wald, wo die Nymphen auf einer Lichtung unter Anleitung einer schwarzen Sklavin Voodoo um einen Feuertopf tanzen. Halb noch kichernd, rufen sie die Namen ihrer Angebeteten und werfen mit Haarlocken. Ab Winona Ryders Auftritt aber ist es vorbei mit der Spaßgesellschaft: Das Blut eines geopferten Huhns im Gesicht, stößt sie eine Todesdrohung gegen Elizabeth Procter (Joan Allen) aus, die Frau, deren Hausmagd sie war, bis sie eine Affäre mit ihrem Mann, John Procter (Daniel Day- Lewis), begonnen hatte.

Die Kirche hat einen „Hexenkenner“ gerufen, und es dauert nicht lange, da hallt das ohnehin aufgescheuchte Dorf wider von kreischenden Stimmen, ausgestreckten Zeigefingern, blassen, in Krämpfen sich windenden jungen Mädchen. Richter Danforth, ein beherrschter Mann, brillant gespielt von Paul Scofield, nimmt die Sache in die Hand und wringt und dreht, bis Blut kommt.

Im Guardian beschrieb Arthur Miller neulich, wie das, was eine Generation in Angst und Schrecken versetzt, der nächsten ein mildes Lächeln entlockt: „Angst reist nicht gut.“ Als der Regisseur Harold Clurman zwanzig Jahre nach dem Krieg einer Gruppe von Schauspielern eine Hitler-Rede zeigte, in der Hoffnung, ihnen einen Schrecken einzujagen, hätten die einen kleinen Mann gesehen, der vor einer jubelnden Menge auf seinen Zehen auf- und abschwingt, und hätten über sein „Overacting gekichert“. Er selbst, Miller, habe kürzlich noch einmal an McCarthy gedacht, wie der mit seinem Geschnarre und seinen Katzenaugen einen Bösewicht abgeben wollte, der sich Mühe geben muß, sein Schtickl zu spielen.

Allerdings sei auch in McCarthys Paranoia ein wahrer Kern gewesen: nach Mao Tsetungs Sieg in China und angesichts der Expansion der Sowjetunion habe man um Europa gefürchtet und im State Department nur verräterische prosowjetische Intellektuelle gesehen. „In jenen Jahren“, so schreibt Miller, „war unser Denken so magisch, so paranoid, daß es fast unmöglich war, ein Stück darüber zu schreiben. Es war ein Verzweiflungsakt, ein typisches Trauma der Depressionszeit: die Ratlosigkeit der Intellektuellen angesichts des europäischen Faschismus und der Menschenrechtsverletzungen in der Sowjetunion.“

Miller fragt sich, als was die Leute sein Stück wohl heute lesen werden. In Lateinamerika werde es gespielt, wann immer ein politischer Coup bevorsteht, in China erinnert es an die Kulturrevolution, in Rumänien an Ceaușescu; es gehört längst zur Folklore des politischen Theaters. In Amerika wird es mit Sicherheit auch im Zusammenhang mit der Hysterie um das Thema sexueller Mißbrauch gelesen werden, wo die Beweiserhebung ja auch mitunter an die spectral evidence aus den Salemer Hexenprozessen erinnert.

„The Crucible“ (Hexenjagd). Regie: Nicholas Hytner. Mit: Daniel Day-Lewis, Winona Ryder u.a. USA 1996. 123 Minuten.

Heute: 20 Uhr, Zoopalast; 15.2.: 12 Uhr, Royal Palast; 18.30 Uhr, Urania; 22.30 Uhr, International