Winkel im Großraum Rock

Asketisch, praktisch, gut: Pavement und Souled American erlegen Rock mit seinen eigenen Mitteln. Die Gitarre erspielt sich vorletzte Chancen  ■ Von Gunnar Lützow

Rock ist eine haarige Sache. Doch seit Pavements 94er-Durchbruch „Crooked Rain, Crooked Rain“ ist der halblange 15-Dollar- Haarschnitt wieder salonfähig. „Cut your hair“ hieß das Motto, „Range life“ das Versprechen der smarten, weißen Jungs auf dem State-of-the-Art-Department, deren Songschreiber und Vordenker Steve Malkmus, wie es sich seit Ewigkeiten für zornige, junge Intellektuelle gehört, die Kulturblätter verachtet und lieber mit den Facharbeitern von den Fachblättern über Fender-Gitarren fachsimpelt.

Lesen lassen sich die Ergebnisse, die zumindest Rock erweiterten, aus zwei Perspektiven. Von innen betrachtet geht das Leben nach dem Tod der Gitarre in Detroit, London und Berlin munter weiter. Zugleich ist am Beispiel Pavement zu beobachten, wie weit die Eingemeindung einst niedrig gehandelter Ausdrucksformen durch das immerwährend hungrige Land Academia und seine Satellitenstaaten fortgeschritten ist.

Rock ist heute eine Angelegenheit, die bis in die feinen Verästelungen seiner eigenen Abwege und Verweigerungen ausgedeutet, zerlegt, gehypet und besprochen ist. Es gibt kaum wirklich Neues unter dieser Sonne. So gedeutet ergibt der aktuelle Albumtitel „Brighthen the Corners“ durchaus einen Sinn: Die allerletzten oder doch schon wieder vergessenen Ecken in Großraum Rock musikalisch neu zu erhellen, nachdem die Landvermesser und Developer vorerst abgezogen sind. Im Mikrobereich funktioniert die Namensgebung ebenso: In die ohnehin verschachtelte Architektur ihrer Songs bauen Pavement kleine Gimmicks ein, die – bei ausreichender Beleuchtung – für dezentrale Komplexität sorgen. Pausen, die einen Tick zu lang sind, abrupte Wechsel in der Stimmlage, schräge Querflöten, schnuckelige Intros, die schroffe Übergänge versüßen – all das ergibt zusammengenommen mit einem Sinn für tragfähige wie tanzbare Gerüste eine spannend zu beobachtende Gratwanderung auf den Resten des Mount Rock.

Inwieweit es indes nötig ist, darauf hinzuweisen, wie „sick of being misread by men in dashikis and their leftist weeklies“ man ist und sich als „island of such great complexity“ zu definieren, oder ob in Pavements derzeitiger Position im Zentrum des sogenannten Postrock noch Möglichkeiten existieren, das Künstler- und Startum so radikal zu ironisieren, wie es im Titel „Shady lane“ geschieht, sei mal vorsichtig dahingestellt. Produkt einer von unterbeschäftigten Privatgelehrten betriebenen Wissenschaft, die nicht jede Saison ganze Weltbilder auf den Kopf stellen kann, sondern sich um Kontinuität auf hohem Niveau bemüht, geht auch diese Veröffentlichung trotz einiger Längen in den späteren Kapiteln durchaus in Ordnung.

Ebenfalls als einsame Archivare mit uneingeschränkter Lizenz zum Weiterbasteln betätigen sich seit nunmehr zehn Jahren und fünf Alben Souled American. Auch ihnen geht es um Grundlagenforschung durch De- und Rekonstruktion als Langstreckenlauf – aber ihr Untersuchungsgebiet liegt irgendwo da draußen zwischen Interstate, Marlboro-Land und Lynchburg, Tennessee, wo Mr. Jack Daniels zwölf Jahre im Eichenfaß schmort, bevor er am Großstadttresen runtergespült wird.

Souled American sind laaaaaangsam. Im Vergleich zu ihnen klingt der schwermütige Vic Chesnutt wie ein halbwegs fröhlicher Uptempo-Rocker. Minutes per beat statt beats per minute – so läßt sich das Slow-Fi-Programm von Chris Grigoroff und Joe Aducci (beide Gitarre und Gesang) am ehesten beschreiben. Nach den schrägen Country- und Folkadaptionen von „Fe“, „Flubber“ und „Around the Horn“ wurde es bereits vor zwei Jahren auf „Frozen“ nahezu puristisch kultiviert und jetzt mit „Notes Campfire“ sehr bestimmt fortgesetzt – asketisch, praktisch, gut und für gesellige Lagerfeuerrunden garantiert nicht zu gebrauchen. Unterstützt von Brian Smith (Trompete), Scott Tuma (Gitarre) und Gelegenheitsschlagzeuger Scott Lucas tasten sie sich bedächtig mit fest angezogener Handbremse voran, lassen die sparsam eingesetzten Akkorde in ein samtweiches Bett aus reinstem Blues tropfen und dehnen einzelne Töne ins Unendliche aus. Am radikalsten geschieht das in „Flat“ und „Deal“, wo das Zerfließen der Klänge in Wüstenatmosphäre endet, die weder dem erdigen Desert Rock von Rich Hopkins und seinen Luminarios nachkommt, noch sich in esoterisch-sphärischer Beliebigkeit auflöst, wie es 1995 bei dem Bluesgitarristen Rainer Ptacek auf „Nocturnes“ passierte, sondern durch minimalistische Klangmalerei zum Trip durch endlose Weiten wird.

Aber auch dort, wo Souled American diese abstrakt impressionistische Methode nicht durchhalten und von Superzeitlupe behutsam in den ersten Gang schalten, schlängelt sich dylaneske Nölerei in subtile Kompositionen, die ihre Tiefenwirkung und stille Größe erst nach mehrmaligem Hören durchscheinen lassen – immer vorausgesetzt, daß auch außerhalb der sogenannten E-Musik Rezeptionsgewohnheiten existieren dürfen, die catchy hooklines nicht für das Nonplusultra und die Jagd nach Novelties für den Job der Marketingleute halten.

Pavement: „Brighten the Corners“ (Domino/RTD)

Souled American: „Notes Campfire“ (Moll/EFA)