: „. . . und daß die Schranken fallen“
■ Eine Neuausgabe seiner Werke erinnert an den Pädagogen und Schriftsteller Jakob Loewenberg
Aktennummer 14067. Im feinsten Sütterlin geschrieben, steht das Wesentliche auf dem Deckblatt seiner Akte: „Lehrer Dr. Jacob Löwenberg, geb. 9. 3. 1856 zu Niederntudorf“:
Anläßlich seines 50. Geburtstages wurde Jakob Loewenberg Objekt der Observation der wilhelminischen Polizeibehörde Hamburgs, genauer der Abteilung IV, der Politischen Polizei. Was immer in den greifbaren „periodischen Druckschriften“ – wie dem Israelitischen Gemeindeblatt oder dem Hamburger Correspondenten – über ihn geschrieben und berichtet wurde, sei es über seinen Vortrag über Heinrich Heine, die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der Literarischen Gesellschaft an ihn, seinen Vortrag über „Erziehung“ in der „Gabriel-Riesser-Vereinigung“, alles haben die Staatsschützer säuberlich ausgeschnitten und aufgeklebt. Ein tüchtiger Pädagoge, ein engagierter Schuldirektor, ein erfolgreicher Dichter zudem, so ein Mensch gehört beobachtet, schon damals. Bei so einem, da weiß man nie!
Fast unbemerkt erschien 1993 im kleinen, aber ambitionierten Igel-Verlag, Paderborn, Jakob Loewenbergs Buch Aus zwei Quellen. Es handelt sich um den Reprint des autobiographisch gefärbten Romans, der 1914 erstmalig in Berlin veröffentlicht wurde. 1922 erschien die 2. Auflage mit dem neuen Untertitel „Die Geschichte eines deutschen Juden“.
„Was willst Du werden? Lehrer!“ Diese Frage und Antwort leiten den Roman ein und skizzieren aufs kürzeste seinen Inhalt. Erzählt wird die Geschichte des Moses Lennhausen, hinter der sich, kaum kaschiert, Jakob Loewenberg selbst verbirgt. Eine behütete Kindheit, das Leben in einer westfälischen Dorfgemeinde, das Verwachsensein in dieser Heimat – Ausgangsstationen der Lebensskizze eines Juden, der Lehrer werden will und es auch wird. Loewenberg läßt seinen Lennhausen während seiner Universitätsjahre den gleichen Antisemitismus spüren, den er selbst in seinen Studienjahren erfahren mußte. Kapitelüberschriften wie „In England“, „Hamburg“, „Die Cholera“ (gemeint ist die Hamburger Choleraepidemie 1892) bezeugen den engen Bezug zur Biographie Loewenbergs.
Nach Aufenthalten in London und Paris, dem Studium in Marburg und Heidelberg ging Loewenberg 1886 nach Hamburg. Drei Jahre später begann er seine schriftstellerische Tätigkeit; er war Mitbegründer der Literarischen Gesellschaft. Mit den Schriftstellern Otto Ernst, Gustav Falke und Detlev v. Liliencron verbanden ihn enge Freundschaften. Seit 1892 leitete er eine private Höhere Töchterschule, das Lyzeum, das nach reformpädagogischen Grundsätzen arbeitete, diese trug sehr bald den Namen seines Direktors.
Als das sozialdemokratische Hamburger Echo nach der Revolution vom November 1918 begann, den Roman Aus zwei Quellen abzudrucken, konnte die Zeitung behaupten, daß Jakob Loewenberg „der Hamburger Arbeiterschaft kein Unbekannter“ sei. Er selbst schrieb an die Leser: „Ich bin gewiß vielen von ihnen nicht fremd. Sie haben mir oft zugehört, wenn ich . . . an einem Vortragsabend im Gewerkschaftshause von unseren großen Dichtern erzählte . . . Und nun soll ich Ihnen wieder erzählen . . . Meine Erzählung führt Sie in eine Welt, die sich zwar in unserer Mitte befindet, die aber den meisten so fremd ist, als läge sie in einem anderen Erdteil: in die Welt einer jüdischen deutschen Gemeinde, in das Fühlen und Denken unserer jüdischen Volksgenossen. Das ist auch ein Segen der Umgestaltung unserer staatlichen Verhältnisse, daß wir uns einander besser kennen lernen müssen, und daß so die Schranken fallen, die Geburt oder Stand oder Glaube zwischen Menschen und Menschen errichtet haben.“
Seine Hoffnung war, daß sich die beiden Quellen, aus denen er schöpfte, die jüdische Familie und das deutsche Volksleben, „zum Strome reinen Menschentums“ vereinen könnten. Mit wieviel Inhumanität und Blut dieser Strom 14 Jahre später getränkt werden sollte, mußte Jakob Loewenberg nicht mehr miterleben. Er starb am 9. Februar 1929. Vier Jahre später wurden auch seine Bücher verbrannt.
Seit der Bücherverbrennung im Mai 1933 konnte man Jakob Loewenbergs Bücher wie Lieder eines Semiten, Aus jüdischer Seele, Der gelbe Fleck, die von ihm herausgegebene Anthologie Vom goldenen Überfluß, die bis 1928 mit mehr als 200.000 Exemplaren verkauft worden war, nur antiquarisch erwerben. Mit dem nun vorliegenden 200seitigen Roman Aus zwei Quellen wird in würdiger Weise an den hervorragenden Lehrer und Dichter erinnert. Die Herausgeber Karl-Martin Flüter und Peter Frielingsdorf, die den Band mit zwei kenntnisreichen wie einfühlsamen Nachworten versehen haben, planen die Neuausgabe ausgewählter Werke Loewenbergs. In diesem Jahr soll ebenfalls im Igel-Verlag eine Auswahl seiner Gedichte folgen.
Wilfried Weinke
Jakob Loewenberg: Aus zwei Quellen; Igel-Verlag Paderborn 1993; 233 S., 38 Mark
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