Steht neben der Frischmilch

■ Muß es angesichts des deutschen Reinheitsgebots von 1516 ein Biobier geben? Biobierbrauer Thomas Lange meint: Unbedingt! / Über „Nordsch“ und „H-Biere“

Diese Frage kennt Thomas Lange bis zum Überdruß: „Warum Biobier? Es gibt doch das deutsche Reinheitsgebot!“ Wer ihm diese Frage stellt, wird mit einer Predigt nicht unter einer halben Stunde bestraft.

„Nordsch“ heißt das „erste ökologische Bier aus dem Norden“, und Thomas Lange ist der Brauer. Seine Kupferkessel stehen in der Gaststätte „Stuhrer Mühle“ in Stuhr. Die kleine Brauerei ist gepachtet, und im Auftrag der Stuhrer Mühle braut Lange das „Mühlen-Bräu“, sozusagen als Brot-und-Butter-Bier und aus konventionellen Rohstoffen. Eine Herzensangelegenheit dagegen ist ihm sein „Nordsch“.

Meister Thomas Lange (Bierbrauer aus Leidenschaft und Diplom-Brauingenieur) kippt soeben aus einem Sack geröstete Biogerste in die „Maischpfanne“, wie einer der beiden 2.000-Liter-Kupferbottiche heißt. Geröstete Gerste ist Malz, und der Anfang allen Bieres ist die Umwandlung von Stärke in (Malz-)Zucker. Das passiert in 50-80 Grad Celsius heißem Leitungswasser, welches in Stuhr Brauwasserqualität haben soll. Verkürzt gesagt ist der Malzzucker das Futter für die Hefe, die den Alkohol produziert. Der gewünschte bittere Geschmack schließlich kommt vom Biohopfen.

Doch fassen wir uns ein Herz. Stellen wir die Frage: Bier, ist das nicht ein gelbes Wässerchen mit einem bißchen Geschmack? Was soll daran öko sein? Hier also die versprochene Predigt: Bier, das ist tatsächlich ein gelber, alkoholhaltiger Hopfentrunk. Aber: nicht sein Bier! Im naturtrüben Nordsch ist „ein unwahrscheinlicher Vitamin-B-Komplex drin“, lauter Nähr- und Ballaststoffe, Mineralien! Und all das stammt von geprüften „Bioland“-Höfen, nix Pestizide, nix Kunstdünger, keine Konservierungsmittel. Das Nordsch wird nicht pasteurisiert, und selbst der Abfall, der sogenannte Treber, ist eigentlich zu gut für die Schweine – Biobäcker backen Bierbrot draus. Natürlich entspricht Nordsch dem deutschen Reinheitsgebot von 1516 (aber was ist dieses Reinheitsgebot wert? Es schützt uns nicht vor genmanipulierter Bierhefe und Gifteinsatz bei der Rohstoffgewinnung. Das Gesetz gehört abgeschafft!). Und überhaupt: „Jeder Arzt, der was von seinem Beruf hält, verschreibt täglich einen Liter Nordsch!“

Thomas Lang dreht an großen Handrädern, drückt Knöpfe, Pumpen springen an. Die Suppe aus der Maischpfanne wandert in den „Läuterbottich“, wo sich das Dicke, der Treber, absetzt. Was bleibt, ist süß und beinhaltet die „Stammwürze“, also den Malzextrakt. Je höher der Anteil der Stammwürze ist, desto alkoholreicher wird das Bier. Eine Stammwürze von 10,5% bis 12 % führt zum Pilsner, über 16% ergibt Starkbier. Teilt man die Stammwürze durch 3, hat man den zu erwartenden Alkoholgehalt.

In diesem Stadium des Brauens kommt die Hefe dazu, und das Gebräu beginnt zu gären. Dazu stehen im Keller riesige Gärbecken, in denen es blubbert. Die „Hauptgärung“ währt eine Woche lang, die „Nachgärung“ drei bis fünf Wochen. Ist das Bier fertig, wird es gekühlt gelagert. Und dann hat der Biobrauer ein Problem.

Daß auch Bier ein Verfallsdatum hat, ist in Deutschland erst seit wenigen Jahren Allgemeinwissen. Die großen Bierbrauer pasteurisieren ihr Getränk und schieben den Verfall hinaus, weshalb Lange gern abfällig von „H-Bier“ spricht. Der Biobrauer verzichtet auf jede Konservierung und hat infolgedessen Probleme mit der Distribution. Im Grunde muß man sein Nordsch nämlich behandeln wie Frischmilch (in Oldenburg gibt es einen Bioladen, da steht das Nordsch direkt neben der Milch im Kühlregal). Weil aber der Getränkehandel keine Kühlschränke hat, kommt er als Verteiler nicht in Frage. Was tun?

Lange sieht keine andere Möglichkeit, als eine eigene Verteilorganisation aufzubauen. Mit dezentralen „Schankstellen“, die auf eigene Rechnung Nordsch verkaufen. Sie brauchen einen kleinen Kühlraum und eine Schankanlage. Die erste dieser Art gibt es im Heimatort des Biobrauers, in Wardenburg. Weitere sind im norddeutschen Raum geplant. Lange denkt da zum Beispiel an Bioläden, zum Beispiel in Bremen.

Doch zunächst hapert es auch noch an der Nachfrage. Die Meinung, daß deutsches Bier ohnehin unnachahmlich rein sei, ist zu verbreitet, sogar bei der Bioladenkundschaft. Nun darf Lange seine Brauer-Konkurrenz auch nicht zu schlecht machen; dann hat er gleich Prozesse am Hals, damit hat er einige Erfahrungen gemacht. Es bleibt ihm also nur der lange Atem und die geschmackliche Überzeugungskraft seines Gebräus.

Der Preis dürfte nicht das Hindernis sein. Nordsch kostet im Bioladen in der Literflasche 6,90 plus 3 Mark Pfand. Größere Gebinde liegen preislich in der Nähe von gutem Markenbier: Das 30-Liter-Faß kostet 99 Mark (inklusive Haltbarkeitsgarantie von 3 Monaten, gekühlt). Dieses Geld ist gut angelegt: Das Ökopils schmeckt hervorragend, kräftig, aber auch rund, ist von angenehmer Bitternis, führt zu lustigen Gesprächen und hinterläßt keine abträglichen Spuren im Kopf. BuS

Bier-Hotline: 04407/6066