Lust auf den Neuanfang

■ Regisseurin Karin Beier inszeniert mit „Carmen“ ihre erste Oper

Am Bremer Theater inszeniert zur Zeit die Schauspielregisseurin Karin Beier ihre erste Oper: „Carmen“ von Georges Bizet. 1875 entstanden und bei der Uraufführung durchgefallen, ist „Carmen“ heute die meist gespielte Oper der Welt. Vor der Premiere am morgigen Sonntag um 19.30 Uhr verriet die Regisseurin der taz alles über den Mythos Carmen, die Männerbastion Oper und den Mut, der Inszenierung die Handschrift einer Frau zu geben.

taz: Frau Beier, Carmen, ein Freiheitssymbol für Feministinnen, Carmen, eine femme fatale, Carmen, ein Sinnbild für das Opfer Frau in der Gesellschaft. In den achtziger Jahren haben die Inszenierungen von Peter Brook und besonders Carlos Saura für neuen Zündstoff gesorgt. An welchem Bild orientieren Sie sich? Wer ist Carmen in Ihren Augen?

Karin Beier: Ich wehre mich immer dagegen, wenn an einem Theaterabend eine Figur Sinnbild für etwas sein soll. Die Carmen ist ja besonders belastet. Sie hat eine große Sehnsucht nach Liebe und einen abstrakten Begriff von Freiheit. Mir geht es nicht um einen Mythos, sondern um eine moderne Frau, die eben merkt, daß diese Liebe nicht funktionieren kann. Sie spielt zwar aufgrund ihrer Sozialisation dauernd eine Rolle, aber die Rolle wird zu ihrer Persönlichkeit, sie kann das ja selbst nicht mehr auseinanderhalten. Ein gutes Beispiel dafür ist das Zigeunerlied im dritten Akt: das ist keine reale Freiheit, sondern eine Show, eben kein Ausdruck der Lebensfreude. Carmen schraubt sich regelrecht in diese Stimmung hinein.

Es wird ja immer wieder gesagt, Carmen braucht und verbraucht Männer, einen nach dem anderen.

Nein. Carmen liebt José. Er ist der erste, der etwas für sie getan hat. In dem Moment, als er zum Zapfenstreich zurückwill, ist sie unglaublich verletzt und enttäuscht. Sie spielt nicht, sie liebt. Und übrigens: die Zigarettenfabrik, in der die Mädchen arbeiten, die Welt der Soldaten: fade, grau und traurig. Und daraus schält sich geradezu eine Figur heraus, die regelrecht kämpft um Lebenskraft.

Glauben Sie, daß Ihre Inszenierung die Handschrift einer Frau trägt?

Ja, unbedingt. Ich entscheide mich gerade bei Carmen für Schmerz, für Konflikt, für Unentschiedenheit. Die Hauptdarstellerin Frederika von Brillembourg und ich wollen Widersprüche. Männer finden viel eher, wie Carmen zu sein hat. Aber Vorsicht, so etwas ist sehr pauschal.

Was veranlaßt Carmen zu einem Verhalten, das man – gelinde gesagt – falsch verstehen kann? Nämlich als pure Rücksichtslosigkeit?

Carmen hat einen unmäßigen Hunger nach Leben und nach mehr, sie will immer weiter. In diesem Sinne ist der Tod, den sie akzeptiert, sogar ein Ausdruck ihres Lebenhungers, sie sucht immer die Grenzerfahrung.

Zu Don José. Der Generalmusikdirektor Günter Neuhold hat in der Einführungsmatinee gesagt, Don José könne keiner Fliege etwas zu leide tun. Er tötet aber seine Frau und er hat – nach der Novelle von Prosper Merimée – schon einen Mord hinter sich.

Keinesfalls wird José von Carmen irgendwo hingebracht, wo er gar nicht sein will. Im Gegenteil: Er hat ein Gewaltpotential in sich, und er weiß das und er hat Angst davor. Er will zunächst den Deckel auf seine gefährlichen Emotionen halten, eine Vernunftentscheidung treffen. Ich möchte aber trotzdem gerne die Zufälligkeit der Begegnung der beiden gestalten und nicht von Anfang an den Begriff Schicksal darüber hängen.

Sie haben mehrfach am Düsseldorfer Schauspielhaus inszeniert und sind jetzt fest am Hamburger Schauspielhaus. Carmen ist Ihre erste Oper. Wie kam es dazu?

Also der Impuls war eine ganz simple Anfrage für dieses Stück. Ich habe ja gesagt, weil ich generell Situationen liebe, in denen ich ganz neu anfangen muß.

Musik legt ja Räume und Atmophären fest, die Sie beim Schauspiel erst erfinden müssen. Das ist übrigens der Grund, warum viele Ihrer KollegInnen die Oper so lieben. Was ist denn für Sie anders mit und bei Musik?

Diese Möglichkeiten eben – als Fessel, wie Sie eben sagen, und genauso als Freiheit. Die intensivste und emotionalste Kunst, die es gibt, ist nun mal die Musik. Es gibt nichts Vergleichbares, was einen derart in andere Welten hineinhebt. Ich habe in dieser Oper Ideen gehabt, die hat mir die Musik wieder weggenommen, regelrecht ausgehebelt, da bin ich richtig auf den Bauch gefallen.

Es gibt heute viele Regisseurinnen, doch die meisten arbeiten im Schauspiel. Die Oper ist dagegen noch immer eine Männerbastion. Spüren Sie das?

Und wie. In der Oper ist es viel stärker als im Schauspiel. Da gibt es schon einige, die mich als Mädchen und als Kleine behandeln.

Wie gehen Sie damit um?

Ich nehme es zur Kenntnis, aber es stört mich nicht, so lange ich ein solidarisches Umfeld habe, das so ein Einzelverhalten übersehbar macht. Bremen war hier eine wirklich gute Erfahrung.

Möchten Sie wieder Oper machen?

Unbedingt. Die Offenheit von Sängerinnen und Sängern ist wunderbar, und ich habe es schon einmal gesagt: Musik ist einfach alles.

Fragen: Ute Schalz-Laurenze