Zwei Länder in drei Zonen

Die Tarifmauern kommen: Ab März ist der Einheitstarif bei BVG und VBB tot, die neue Unübersichtlichkeit regiert dann im Nahverkehr  ■ Von Andreas Becker

Was viele sich schon länger wünschen, wird ab März wahr: Die Zone kehrt zurück. Und das gleich dreifach. Um es diesmal wenigstens sprachlich einfacher zu machen, wird Berlin nicht wieder in Berlin (West) und Berlin – Hauptstadt der DDR unterteilt, sondern in Zone A und B. Jedenfalls so ungefähr, denn „Zonengrenze ist nicht immer die Stadtgrenze“. Das Umland wird „Zone C“. Bürokraten marsch. Seit die Preiszonen beschlossen sind, blüht die Tariflyrikabteilung der BVG merklich auf: „Für einige Linien, die z.B. aus dem Tarifbereich B in den Tarifbereich C führen, wurde festgelegt, daß die im Tarifbereich C verlaufenden Streckenabschnitte dem Tarifbereich B zugeordnet werden“ (BVG-Kundenzeitung Plus, 1/97).

Soll heißen, wer beispielsweise von Berlin mit der S-Bahn nach Griebnitzsee fährt, ist noch mit einem Normalfahrschein A/B dabei. Wer damit wie gewohnt bis Babelsberg oder Potsdam Stadt weiterfährt, fährt schwarz. Aber, keine Panik, einfach aussteigen, 10 oder 20 Minuten warten und cool zum Automaten schlendern: „Für Fahrgäste, die einen Fahrausweis AB bzw. BC haben, aber Fahrten im gesamten Tarifgebiet (ABC) durchführen wollen, gibt es einen Ergänzungsfahrschein mit einer Gültigkeit von zwei Stunden ab Entwertung.“ Preis: 2,50 Mark.

Die Verkehrsgemeinschaft Berlin-Brandenburg (VBB) will herausgefunden haben, daß „zahlreiche Kunden es zunehmend als ungerecht empfinden“, für kurze Strecken den gleichen Preis zu zahlen wie für längere. Konsequenz: Fahrten im Stadtgebiet werden teurer, Fahrten ins Umland werden noch teurer. Diese neue Variante der Preissteigerungspolitik sollen die Fahrgäste zwar im Portemonnaie, aber nicht im Hirn bemerken. Als sei der BVG, die in den letzten Jahren gegen den Bundestrend immer mehr Kunden verliert, die Sache im Grunde furchtbar peinlich, verkündet man lauthals eine Preissenkung: Der Einzelfahrschein sinkt von 3,90 auf 3,60 Mark. Die billigste Einzelfahrt kostete bis jetzt allerdings nur 3,25 Mark mit Sammelkarte – und die schafft man still, leise und ersatzlos ab. Besonders klasse die Begründung von BVG-Vorstand Rüdiger vorm Walde für die Abschaffung der Sammelkarte: „Die Stempelei sei zu umständlich.“

Tariftrumpf soll die Tageskarte werden. Fürs Stadtgebiet (oder zwei Zonen) wird sie auf 7,50 Mark gesenkt (was bei zwei Fahrten immer noch 3,75 Mark macht), für alle drei Zonen zahlt man 8,50 Mark. Nachteile regelt das Kleingedruckte: Der BVG-Tag hat keine 24 Stunden, sondern endet um „03.00 Uhr des Folgetages“.

Kunden, die sich seit Einführung der Umweltkarte daran gewöhnt hatten, ihr Rad mitzunehmen, will die VBB scheinbar ganz loswerden. Kostete das Rad bis 1995 nur einen Kurzstreckenfahrschein, danach den Normalfahrschein, werden es nun 7,50 Mark: „Die Tageskarte kann als Fahrausweis für ein Fahrrad oder einen zusätzlichen Hund genutzt werden.“ Nur die Umweltkarte Premium (zuviel Bierreklame gesehen?) für 119 Mark (jetzt 93 Mark) berechtigt weiterhin automatisch überall zur Fahrt (nach 20 Uhr und an Wochenenden zu zweit) und Radmitnahme. Eine Preissteigerung von rund 30 Prozent. Damit liegt man genau eine Mark unter dem Tarif, den man zahlt, wenn man mit Rad schwarzfährt.

Die Gerechtigkeitslogik des VBB führte schon im letzten Jahr zu Irrsinn wie dem Regionalexpreßzuschlag von zwei Mark, von dem nicht einmal die Schaffner wußten, ob dieser auch für Jahreskarteninhaber fällig wird (wird er nach monatelangem Überlegen der Bahn nicht, außerdem kann kostenlos ein Rad aufgenommen werden, was auf den Bahnhofsaushängen verschwiegen wird). Die stündlichen RE-Züge von Zoo nach Potsdam fahren seit Zuschlagseinführung oftmals fast menschenleer.

Noch ein Verschwiegenheitsgag der BVG: Man beteiligt sich zwar am Schönen-Wochenende-Angebot der Bahn AG (35 Mark für fünf Leute), das gerade für Touristen auch bei nur BVG-Nutzung noch lukrativ wäre (vor allem beim noch gültigen Tageskartenpreis von 16 Mark), verkauft die Fahrscheine aber nicht am Automaten. Das Angebot ist einfach zu günstig.

Wenn man die Preise schon nicht senken kann, will man die neue Tarifgerechtigkeit wenigstens konsequent durchziehen: Wer mehr bezahlt, will weiter, also auch länger fahren! Das schien bislang auf kurzen Strecken kaum realisierbar. In den letzten Monaten aber gelang es der BVG, die Fahrtzeit auf einigen Strecken durch kleine Kunstgriffe zu verdoppeln oder gar zu verdreifachen. An Stationen wie Berliner Straße und Mehringdamm warteten die Züge früher abends aufeinander. Das Umsteigen ging oftmals zu schnell, um die Architektur der Bahnhöfe zu genießen oder sich wirklich intensiv mit einer Werbebotschaft auseinanderzusetzen.

Vor einigen Monaten verdoppelte man den Zugabstand nach 23 Uhr auf 20 Minuten. Ein guter Anfang. Auch günstig, daß man gerade dabei war, die Zugabfertiger aus ihren Wärmestuben zu scheuchen („Die BVG ist auf dem Häuschen“). Die können uns also nicht mehr dazwischenfunken und die Züge aufeinander warten lassen, sagte man sich im riesigen Fahrplan-Thinktank der BVG am Kleistpark. So konnte man im Herbst 96 einen weiteren mutigen Schritt der Fahrplanreform durchführen. Was jahrzehntelang funktionierte, geht nun plötzlich nicht mehr. Die U 9 aus Steglitz zum Beispiel läßt man nun zwei Minuten nach der U 7 Richtung Neukölln an der Berliner Straße ankommen. Beim 20-Minuten-Takt satte 18 Minuten Wartezeit. 15 Minuten muß warten, wer später abends am Mehringdamm von der U 6 zur U 7 umsteigen will. Die letzten Zugabfertiger verzweifeln, ihr Service ist illegal: „Wir können nichts dagegen tun, lassen aber manchmal außer Plan einen Zug auf den anderen warten.“

Besonders gerecht geht's jetzt auch beim 10-Minuten-Takt nach 19 Uhr und an Wochenenden zu. Damit kein Neid unter den Zeitverlustlern aus unterschiedlichen Richtungen entsteht, hat man die langweiligen, auf direktes Umsteigen abgestimmten Fahrpläne von U 6 und U 7 am Mehringdamm so verändert, daß beide Seiten jetzt exakt gleich lang warten müssen: fünf Minuten. Darüber hinaus konnte man, nachdem man über 100 Millionen Mark für die Bahnsteigverlängerungen der U 6 draufgegangen waren, die Züge verlängern und auch hier am Tage endlich den hektischen 3,5-Minuten-Takt abschaffen.

Also auch hier bessere Chancen denn je, „Mehringdamm“ zu seiner zweiten Heimat zu machen und sich zu fragen, warum noch niemand auf die Idee gekommen ist, eine Kaminecke mit Elektrofeuer in den Klinker einzulassen.

Letzte Möglichkeit, für lumpige 890 Mark ein Jahr lang, zwar mit viel Warterei, aber ohne Zonen und mit Rad nahzuverkehren, ist der Kauf einer Jahreskarte ab Februar. Als Reaktion auf die umweltpolitisch irrsinnge Tarifpolitik, die durch die Senatsstreichungen mitverschuldet ist, kann man das eigentlich kaum noch empfehlen. Ein Dienstleister, der permanent seine Leistungen verschlechtert und dafür den Preis erhöht, verhöhnt seine Fahrgäste und müßte eigentlich durch organisiertes Protestschwarzfahren zur Vernunft gebracht werden.