Es gibt die Straße. Und das Büro.

■ „Ein kurzer Arbeitstag“ von Krzysztof Kieslowski (Forum)

Ein roter Wandteppich mit dem polnischen Adler hängt an der Wand. In den Regalen Pokale. Vor den Fenstern vergilbte Gardinen. Auf dem Schreibtisch des Parteisekretärs drei Telefone. Anruf in der Fabrik: „Was ist bei euch los? Die Arbeiter verlassen die Fabrikhallen! Könnt ihr sie nicht aufhalten?“ – „Zu spät, ich sehe sie von meinem Fenster aus, sie laufen gerade durchs Werkstor.“

1981, kurz vor Ausrufung des Kriegszustandes in Polen, drehte der im letzten Jahr verstorbene Krzysztof Kieslowski diesen Film. „Ein kurzer Arbeitstag“ dokumentiert auf eindringliche Weise den Zerfall des Sozialismus von innen heraus. Die holzvertäfelten Büros der Parteifunktionäre sind wie hohle Zähne, in denen man sich notfalls zum Verschnaufen auf die braune Couch legen kann. Zu ändern ist nichts mehr.

Kieslowskis Film spielt im Juni 1976. Die Arbeiter in Polen sind aufgebracht über die verordneten Preiserhöhungen. Wir wollen Brot, rufen sie. Nicht einmal in Polen war Kieslowskis Film bisher zu sehen gewesen. Die Kamera verharrt mit den Parteifunktionären in deren Gebäude. Längst ist man vom Volk entfremdet. Aber auch von sich selbst. Es gibt die Straße und das Büro. Am Telefon meldet sich niemand mit seinem Namen.

In Radom, wo der Film spielt, hofft man auf Entscheidungen der Zentrale in Warschau. Die Funktionäre versuchen auf Zeit zu spielen. Die Arbeiter aber wollen der Partei keine Zeit mehr geben. Während draußen das erste Auto angezündet wird, füttert der Sekretär die Goldfische. Später stürmen die Arbeiter das Haus und zünden Parteifahnen an. „Wir müßen das Gebäude verlassen“, sagt der Polizeichef zum Sekretär. Sie schleichen sich an den Arbeitern vorbei. Irgendwann wird die Polizei alle zusammenschlagen. Aber das braucht Kieslowski nicht mehr zu zeigen. Andreas Becker

„Ein kurzer Arbeitstag“ Polen 1981. 74 Min. Regie: Krzysztof Kieslowski.

Heute: 12 Uhr Akademie