Harmonie bricht aus

Von der Parodie zur Beschwörung: „Viva Erotica“ von Derek Yee im Wettbewerb – ein Film über Hongkong: Wie es war und gerade noch ist  ■ Von Thomas Winkler

Alles beginnt, wie nur ein Film aus Hongkong beginnen kann. Die Kamera fährt auf Kniehöhe durch den Flur einer Wohnung, wirft Blicke in die Zimmer, ein Paar auf einem Bett, die Kamera fährt scheinbar achtlos, fast dokumentarisch weiter, bleibt dann aber doch hängen, das Paar beginnt sich zu küssen, plötzlich schreit May auf, beißt Sing in den Hals, aus der freundlichen Morgenszene wird ein Vampirfilm.

Sing, gebissen und infiziert, stürzt sich auf May, Arme, Beine, Schweiß, Pobacken, Münder, Haare, braunes Licht in wilden Schnitten, verschlierte Bilder... Im Hintergrund leuchtet Licht auf und enthüllt eine komplette Filmcrew, die gebannt das vögelnde Paar betrachtet. Kurz vorm Orgasmus brüllt Sing „Cut!“, der Set wird wieder zum Zimmer in der kleinen Wohnung.

Sing ist Regisseur, ein überaus ambitionierter, ein überaus erfolgloser. Seit einem Jahr hatte er keinen Job mehr, May finanziert ihn. Doch sein neues Script soll verfilmt werden, verspricht zumindest Produzent Chung. Doch der Finanzier stellt sich als Triaden-Chef heraus. Als er erfährt, daß von dem letzten Film, für den er das Geld gab, schon vor der Premiere Video- Raubkopien im Umlauf sind, befiehlt er erzürnt: „Brennt die Videothek nieder.“ Außerdem hätte er gerne seine Freundin als Hauptdarstellerin, ein bißchen mehr Gewalt wäre auch nicht schlecht und natürlich Titten, Titten, Titten. Selbstverständlich ziert sich Sing und macht es dann doch.

Die Drehs werden zur klamottigen Katastrophe, die Hauptdarstellerin kann nicht spielen und will sich nicht von ihrem Filmpartner anfassen lassen, der Produzent möchte am liebsten selbst Regie führen, der Regisseur wird von Alpträumen geplant, verliebt sich in die Hauptdarstellerin, und seiner Mutter hat er erzählt, er dreht einen Aufklärungsfilm ...

Was in „Get Shorty!“ noch als Parodie durchging, wirkt in „Viva Erotica“ trotz allem Klamauk fast realistisch. Im Durchlauferhitzer Hongkong mit seinem schnellebigen Markt und aberwitzigen Produktionsgeschwindigkeiten haben genug Regisseure ihre Karriere mit Softpornos begonnen. In einer rührenden Szene verklickert der Kameramann dem Regisseur mit Hilfe eines Bergs von Videobändern die Qualitäten, die auch ein Porno haben kann.

Doch dann kippt der Film, die Nieten wandeln sich plötzlich zu guten Schauspielern, Harmonie bricht aus, Schauspieler bringen ihre Familie auf den Set mit und zeigen voller Stolz ihren Arbeitsplatz, jeder liebt jeden, der Film im Film wird wohl ein guter Film werden, und selbst das Problem mit dem Filmsperma, das nicht richtig echt aussehen will, wird gelöst.

Keine doofen Witze mehr, aber vielleicht ist gerade das dann erst wirklich ironisch gemeint. Oder doch der Versuch, noch einmal das alte Hongkong als das zu würdigen, was es war und noch ist: Die widersprüchlichste, schnellste, aufregendste Filmkultur der Welt. Das Hongkong, in dem alles möglich war, in dem man gute Filme machen konnte, aber eben auch schlechte, aber vor allem halt Filme.

Bleibt die Frage, was für Filme in Hongkong nach dem 1. Juli 1997 noch denkbar sind.

„Viva Erotica“. Hongkong 1996. 97 Minuten. Regie: Derek Yee, Lo Chi Leung. Mit Leslie Cheung, Karen Mok, Law Kar Ying, Shu Ki, Tsui Kam Kong u.a.

Heute: 9.30 Uhr im Royal Palast und um 21 Uhr in der Urania; 16.2.: 20 Uhr im International