Kommentar
: Recht ohne Berechtigte

■ Der Bildungsurlaub sollte ein Forum zur gesellschaftlichen Orientierung sein

Zur Erinnerung: Bildungsurlaub ist das Recht von ArbeitnehmerInnen auf befristete Freistellung zur Teilnahme an Weiterbildung unter Fortzahlung der Bezüge. Theoretisch haben die meisten ArbeitnehmerInnen dieses Recht, denn Bildungsurlaubsgesetze gibt es immerhin in zehn Bundesländern. Die Crux liegt in der Beteiligung: Ging der Bildungsgesamtplan 1973 noch davon aus, daß 15 Prozent der Ansspruchsberechtigten teilnehmen werden, sind es tatsächlich im Bundesdurchschnitt gerade mal 1,5 Prozent – Tendenz sinkend. Das ist bei 4,6 Mio. Arbeitslosen allerdings nicht verwunderlich.

Diese Situation ruft insbesondere jene auf den Plan, die die Notwendigkeit von Bildungfreistellung ausschließlich an betrieblichen Qualifizierungsanforderungen und Effizienzrechnungen messen wollen. Im übrigen gehört Weiterbildung in dieser Lesart sowieso in die Freizeit. Die Debatte wird gegenwärtig auf allen Ebenen geführt: Da geht es einerseits um Lohnnebenkosten und Standort, andererseits um den Dauerbrenner des maßgeblichen Mißbrauchs des Bildungsurlaubs. So hat sich etwa in Hessen die Zahl der bekanntgewordenen Ablehnungen von Freistellungen durch Arbeitgeber in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppelt.

Auf politischer Ebene verdichten sich die Einzelinitiativen von CDU-Landtagsfraktionen zur Novellierung der Bildungsurlaubsgesetze zu einer bundesweiten Aktion. Ihr zentrales Ziel ist es, der ungeliebten politischen Bildung als freistellungsrelevanten Bereich im Bildungsurlaub durch restriktive Regelungen den Garaus zu machen.

Dabei hatten seine ProtagonistInnen unter Bildungsurlaub mehr verstanden als ein wirtschaftsbezogenes Qualifizierungsinstrument. Bildungsurlaub sollte auch immer ein Forum zur gesellschaftlichen und persönlichen Orientierung sein. Er sollte ArbeitnehmerInnen Zeit und Raum geben, sich in die gesellschaftliche Zukunftsdebatte über Arbeit, Kultur und Wertefragen einzumischen. Bildungsurlaub sollte lebensbegleitendem Lernen und der Verbesserung von Weiterbildungsbeteiligung der ArbeitnehmerInnen Impulse geben.

Allerdings hilft auch die schlüssigste Argumentation nicht gegen das strukturelle Problem des Bildungsurlaubs: Als weiterbildungspolitisches Freistellungsinstrument ist er angesiedelt auf dem ohnehin schwierigen Feld der Arbeitsbeziehungen. Hier wird in zunehmenden Maße über Sein oder Nichtsein entschieden – eine fragwürdige Option für den Bildungsurlaub. Auch bei allen bisherigen Fehlschlägen führt kein Weg vorbei an dem Versuch, zu einem weiterbildungspolitischen Konsens aller gesellschaftlichen Gruppen zu finden. Konflikte müssen in der Politik, zwischen Verbänden, zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften/Interessenvertretungen ausgehandelt werden. Eine „korporativistische Lösung“ zur Aktzeptanzverbesserung nennt zum Beispiel das Ministerium für Wissenschaft und Weiterbildung Rheinland-Pfalz den Aushandlungsprozeß über strittige Bildungsurlaubsangebote im Rahmen einer Clearingstelle, in der Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und Träger der Weiterbildung vertreten sind. Zu hoffen bleibt, daß solche und andere Instrumente zu Rahmenbedingungen führen, die ArbeitnehmerInnen in ihrer Entscheidung für den Bildungsurlaub freier machen. Lothar Jansen

Der Autor ist Bildungsreferent beim Bundesarbeitskreis

„Arbeit und Leben“

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