In Brčko entscheidet sich der großserbische Traum

Die Brücke über die Save ist notdürftig von US-amerikanischen Pionieren wieder hergerichtet. Langsam quälen sich Versorgungsfahrzeuge der internationalen SFOR-Truppen von Kroatien aus kommend über den Fluß nach Bosnien. Sie dient nur der Versorgung der internationalen Truppen. Für den öffentlichen Verkehr ist die Brücke nach Brčko nicht zugänglich.

Anfang Mai 1992 war sie gesprengt worden. Es waren die Tage, an denen serbische Freischärler zusammen mit Truppen der jugoslawischen Volksarmee in der Stadt ein Blutbad angerichtet hatten. Mit dem Beginn des Krieges hatten sich die Militärplaner in Belgrad das Ziel gesetzt, einen serbisch kontrollierten Korridor entlang dem Save-Fluß zu schlagen, der die serbisch dominierten Gebiete in Nordwestbosnien um die Stadt Banja Luka und die serbisch kontrollierten Gebiete in Kroatien mit Belgrad verbinden sollte. Die Eroberung des sogenannten Posavina-Korridors – so heißt die Landschaft, die sich nördlich von Brčko ausbreitet – wurde zum wichtigsten militärischen Ziel.

Ein Hindernis für die serbischen Militärplaner war, daß die Region vor allem von Muslimen und Kroaten bewohnt war. In Brčko stellten die Serben nur einen Anteil von etwas über 20 Prozent, die Mehrheit der Bevölkerung war muslimisch. Und vor allem Kroaten wohnten in der Posavina.

So wurden die Mörderbanden losgelassen, die muslimisch-kroatische Bevölkerung sollte systematisch vertrieben werden. Truppen des Freischärlerführers Arkan, Tschetniks des serbischen Nationalistenführers Vojislav Seselj und andere Freiwilligenverbände übernahmen seit dem 1. Mai 1992 die Drecksarbeit. Hunderte von Menschen wurden am Ufer der Save ermordet und ihre Leichen ins Wasser geworfen.

Tausende schwammen durch den Fluß an das kroatische Ufer, Zehntausende flohen nach Westen, in Richtung Tuzla. Wem die Flucht nicht gelang, landete in Konzentrationslagern. Das eine lag direkt an der Save, am Hafen. Das zweite lag auf dem Gelände einer Geflügelfirma. 8.000 bis 10.000 Gefangene sollen nach Augenzeugenberichten dort festgehalten worden sein. Nach und nach wurden die Gefangenen freigelassen – viele Männer und Frauen mit Folterspuren, die ersten Berichte über Vergewaltigungen wurden bekannt.

In Brčko steht und fällt der Traum vom einem Großserbien. Käme Brčko zu der 1994 neu begründeten muslimisch-kroatischen Föderation, hätte Banja Luka keine direkte Verbindung nach Belgrad. Die serbisch besetzten Gebiete in Bosnien würden in zwei Teile geschnitten. Deshalb wurden 1996 Serben aus der Umgebung Sarajevos in Brčko angesiedelt, während die vertriebenen Muslime und Kroaten auf ihre Rückkehr warten.

In dem Vertrag von Dayton wurde das heiße Eisen Brčko ausgeklammert. Eine Schiedskommission aus je einem Vertreter der muslimisch-kroatischen Föderation, der bosnischen Serben und eines internationalen Vermittlers sollte über die Zukunft der Stadt entscheiden. Letztlich hieß dies, die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft zu übertragen. Die Vernunft spräche für die Etablierung einer international kontrollierten Region Brčko. Alle anderen Lösungen werden militante Reaktionen der Verliererseite nach sich ziehen.er