Unerträglicher Druck

Beschimpfungen und offene Morddrohungen bestimmen den Alltag kritischer Schriftsteller im Iran  ■ Von P. Jönsson und T. Dreger

Teheran/Berlin (taz) – In einer Wohnung in einem Betonvorort von Teheran sitzen fünf Männer mittleren Alters mit Schreibblocks und Bleistiften und lesen sich ihre Gedichte vor. Sie kritisieren, fragen, kommentieren, lesen wieder – ein Treffen iranischer Literaten in der Wohnung von Huschang Golschiri (59), dem wohl bekanntesten in der Islamischen Republik lebenden iranischen Literaten. Der Staatsführung gilt er wegen seines kritischen Engagements als Feind der Ideale der Islamischen Revolution.

Das Dichtertreffen strahlt etwas sehr friedliches aus. Doch kaum haben sich Golschiris Kollegen verabschiedet, ändert sich das Bild: Ein zwölfjähriges Mädchen stürmt herein, wirft sich in Golschiris Arme und weint. Die Szene wiederholt sich mehrmals. „Das passiert jedesmal, wenn es an der Tür klopft“, erzählt Golschiri. „Meine Tochter wird von Panik gepackt und glaubt, es ist die Polizei, die mich holen will.“

Die Befürchtung ist begründet: Als sich im vergangenen Herbst in der Wohnung von Golschiris Kollegen Mansur Kuschan 13 Schriftsteller versammelt hatten, um über die Satzung eines unabhängigen iranischen Schriftstellerverbands zu diskutieren, stürmten Geheimdienstler die Runde. Die Versammelten wurden vorübergehend festgenommen. „Wir hatten ein Papier formuliert, das beschrieb, wie eine Organisation von rein gewerkschaftlichem Charakter aussehen sollte“, erinnert sich Golschiri. „Wir hatten noch nicht einmal die Absicht, das Papier zu veröffentlichen. Aber sie stürmten das Haus und nahmen uns alle fest.“

Der Gruppe wurde streng verboten, sich nochmals zu treffen. Zwei der damals Verhafteten: Golschiri und sein enger Freund Faradsch Sarkuhi (49), der seit Januar erneut vom iranischen Geheimdienst festgehaltene Chefredakteur der Literaturzeitschrift Adineh. „Natürlich habe ich auch selber Angst. Jede Minute muß ich mit dem Tod rechnen“, sagt Golschiri. „Jedes Telefongespräch läßt mich zittern.“ In den vergangenen Wochen erhielt er zahlreiche anonyme Anrufe: Beschimpfungen und offene Morddrohungen – auch gegen seine Tochter. Er wagt sich kaum noch vor die Tür.

Golschiri will das kurzfristige Denken und die Irrationalität des Handelns der Machthaber nicht begreifen. „Sie können mich gern vor Gericht zerren für etwas, das ich geschrieben habe. Aber sie drohen mir nur.“ Auch die meisten seiner Kollegen würden nicht zögern, ihre Werke vor Gericht zu verteidigen. Schließlich gebe es im Iran eine klare Gesetzgebung: „Erst wird etwas publiziert und dann wird überprüft, ob eventuell etwas Ungesetzliches in dem Werk steht.“ Doch: „Das Gesetz wird nicht befolgt. Wenn die Behörden den Gesetzen nicht folgen, sollen sie sie ändern. Aber das machen sie auch nicht.“

Ein Beispiel für diese Willkür ist die Zeitschrift Neeo Poetika. Im Januar erschien die erste Ausgabe. „Nummer 1, Frühjahr 1995“ stand auf dem Titelblatt. Fast zwei Jahre hatte die Zensur das Erscheinen des bereits gedruckten Magazins blockiert – nach iranischen Gesetzen völlig illegal. Der Chefredakteur des Heftes, Mansur Kuschan, wurde von der plötzlichen Freigabe selbst überrascht.

Kuschan ist eine weitere Symbolfigur unter den kritischen Intellektuellen. Er gehört neben Golschiri, Sarkuhi und anderen zu den Initiatoren des „Aufrufs der 134“, einem 1984 veröffentlichten, aufsehenerregenden Appell für die Meinungsfreiheit und die Gründung eines unabhängigen Schriftstellerverbands im Iran. Fast alle Unterzeichner bekamen daraufhin Publikationsverbot – einige auch Besuch von der „Ansar Hisbollah“, islamistischen Schlägertrupps, denen eine enge Verbindung zu Irans geistlichem Führer Ajatollah Ali Chamenei nachgesagt wird. Kuschan durfte seine Zeitschrift Takapu nicht mehr veröffentlichen. Unermüdlich stellte er einen Antrag auf die Publizierung eines Nachfolgemediums.

Daß Neeo Poetika ausgerechnet zu einem Zeitpunkt erscheinen darf, an dem Kuschans Kollege Sarkuhi vermutlich erneut vom Geheimdienst gefoltert wird, gehört zu den vielen Absurditäten der Islamischen Republik. In dem Theokratenstaat gibt es zahlreiche Machtzentren. Die ehemaligen Kampfgenossen der Islamischen Revolution ringen nun miteinander um die Macht. Die Seilschaften sind unüberschaubar. In dem Machtkampf ist jedes Mittel recht. Irgend jemand im iranischen Staatsapparat scheint die Repression der vergangene Monate zu weit gegangen zu sein, er wollte ein Gegenzeichen setzen. Neeo Poetika hat möglicherweise einfach nur Glück gehabt.

Doch die Tendenz ist gegenläufig. Seit als ausgemacht gilt, daß nach den Präsidentschaftswahlen im Sommer der konservative derzeitige Parlamentspräsident Ali Akbar Nateq Nuri die Nachfolge Ali Akbar Haschemi Rafsandschanis antreten wird – der für iranische Verhältnisse wirtschaftsliberale derzeitige Präsident darf qua Verfassung kein drittes Mal kandidieren –, nimmt der Druck auf Regimekritiker unerträgliche Formen an. Schriftsteller, die noch vor einem Jahr zynisch über die Engstirnigkeit des für sie zuständigen Ministers für Kultur und religiöse Führung lästerten, verweigern jetzt jede Stellungnahme.

„Heute traut sich kein Schriftsteller mehr, sich auf jemand anderes als sich selbst zu verlassen,“ erzählt Golschiri. „Hätten wir einen Schriftstellerverband, könnte wir uns wenigstens treffen und uns gegenseitig helfen. Wir könnten mit den Behörden verhandeln, einen Modus mit ihnen finden. Nun besteht das Risiko, daß Verfasser, deren Werke nicht erscheinen dürfen, daraus den Schluß ziehen, man müsse das ganze System stürzen. Neue Autoren tauchen nicht mehr auf, weil kein Verlag es mehr wagt oder die Ressourcen hat, jemanden zu veröffentlichen, der nicht garantiert ,genehmigt‘ ist.“

Literaten, die dennoch ins Ausland reisen dürfen, entziehen sich allen politischen Gesprächen. „Zitieren Sie mich nicht, sonst bringen Sie mich in Lebensgefahr“, sagte Faradsch Sarkuhi im vergangenen Frühjahr bei seinem letzten Deutschlandbesuch gegenüber der taz. Doch alle Vorsicht hat nichts genutzt. Mittlerweile droht die iranische Führung, den Schriftsteller wegen der absurdesten „Delikte“ anzuklagen: Spionage für Deutschland, Kontakt zur illegalen linken Opposition, Ehebruch...

„Galileo Galilei wußte, daß sich die Erde um die Sonne dreht, nicht umgekehrt. Er erdreistete sich, dies öffentlich zu sagen. Aber das Papsttum, das wußte, daß er eine Affäre mit einem Dienstmädchen hatte, drohte ihm, diesen Seitensprung zu entlarven. Gegen seine Überzeugung wurde Galilei gezwungen, zu bekennen, gewiß stünde die Erde im Zentrum des Weltalls. Erst vor einigen Jahren hat der Vatikan eingestanden, falsch gehandelt zu haben.“ Die (verkürzte) Passage stammt aus Huschang Golschiris Roman „Zustand der Ungewißheit“. „Im Grunde liebe ich mein Land und dessen Kultur“, sagt Golschiri heute. „Aber die Machthaber glauben mir nicht. Sie glauben, ich sei ein Spion. Im Ministerium für Kultur und religiöse Führung werden meine Manuskripte nicht einmal mehr gelesen. Sie verbieten sie gleich. Logischerweise sollte ich emigirieren. Aber ich will nicht. Ich bin ein Teil der hiesigen Kultur, und ich will es bleiben.“

Per Jönssen ist Redakteur der schwedischen Tageszeitung „Dagens Nyhiter“ und hielt sich Ende Januar im Iran auf