Die Erotik des Widerstands

Paolo putzt die MP, Genossin Maria im grünen Drillich: „Die Guerillos sind müde“ von Bruno Barreto – großes Gefühlskino im Wettbewerb  ■ Von Thomas Winkler

Noch ferner als Brasilien scheint die Zeit, in der „Die Guerillas sind müde“ spielt. Dabei hätte die Geschichte sich vor 30 Jahren auch hierzulande zutragen können, damals, als jeder jemanden kannte, der gerade ernsthaft darüber nachdachte, in den Untergrund zu gehen. Die Revolution schien nicht weit weg zu sein, alles nur eine Frage der Zeit. Also warum nicht die Sache etwas beschleunigen?

Im September 1969 entführten linke Studenten den amerikanischen Botschafter in Rio de Janeiro, preßten 15 Gesinnungsgenossen frei, wurden teilweise verhaftet und gefoltert und schließlich wiederum selbst freigepreßt. Fernando Gabeira, einer der Entführer, schrieb zehn Jahre später im Exil sein Buch, das Bruno Barreto als Grundlage diente.

Barreto hat es geschafft, aus einer politischen Meditation Kino zu machen. Die Fakten mögen nicht immer korrekt sein, aber die Menschen wirken wahrhaftig. Die Folterer bereden, in welcher Kneipe sie noch ein Bier nehmen wollen, während sie einem Opfer den Kopf unter Wasser drücken. Wenn die Studenten beschließen, in den Untergrund zu gehen, ist die Entscheidung relativ undramatisch, als ginge es nur um einen Umzug. Stell dir vor, du machst gerade Revolution, und zu Hause haben sie nicht mal bemerkt, daß du weg bist.

Barreto vermittelt auch die Faszination, die jenseits aller politischen Inhalte dafür sorgte, daß abgesicherte Mittelklasse-Kids begannen Räuber und Gendarm zu spielen – ohne sich der Gefahren wirklich bewußt zu sein. Die einen mögen sich gar nicht mehr von ihren Maschinengewehren trennen und bosseln und putzen und tun. Abends versammelt man sich einträchtig vor dem Fernseher, um sich selbst in den Nachrichten zu bestaunen. Genosse Paolo sitzt, noch lange nachdem vom Nachrichtensprecher die von ihm verfaßte Erklärung verlesen wurde, allein und selig grinsend vor dem TV. Und Genossin Maria sieht einfach gut aus im grünen Drillich.

„Die Guerillos sind müde“ wirkt heute wie ein Märchen. Auch die Folterer sind Menschen, die lieben und ihre Liebe verlieren. Es gibt keinen Haß, bestenfalls professionell bedingte Abneigung. Der Haß, die Motivation ist sehr abstrakt. Und noch heute scheinen sich alle blendend zu verstehen: Bei der Pressekonferenz saß die Tochter des Entführten drei Meter entfernt von einem der Entführer und sagte: „Mein Vater fühlte sich seinen Entführern sehr verbunden. Er bewunderte ihren Idealismus.“

Barreto hat in den letzten sechs Jahren in Hollywood gearbeitet, weil in Brasilien eine Zeitlang jede Filmförderung gestrichen war – das sieht man dem Film auch an. Aber im Gegensatz zu Costa- Gavras mit seinen politischen Parabeln, in denen blutleere Figuren exakt das Richtige oder exakt das Falsche tun und sagen, leben Barretos Figuren. Man fühlt mit ihnen, ob man ihre Ideale teilt oder nicht oder ob man überhaupt Ideale hat. Der Film endet mit einer Szene auf einem Militärflughafen, von dem die politischen Gefangenen, die die Folter überlebt haben, nach Algerien ausgeflogen werden. Sie sprechen kaum miteinander, blicken sich nur in die Augen. Man möchte weinen. Das ist Kino, richtiges großes Kino.

„Die Guerillos sind müde – O que é isso, companheiro?“. Brasilien 1996, 105 Min., Regie: Bruno Barreto. Mit: Pedro Cardoso, Alan Akin u.a.

Heute: 9.30 Uhr Royal Palast und 21.45 Uhr Urania