Völkerwanderung um Mitternacht

■ Die „Lange Nacht der Museen“ am Samstag lockte mehr als 25.000 Museums-Hopper und Partygänger in 18 Museen

Wie viele Museen schafft ein Mensch in der Zeit zwischen dem „Wort zum Sonntag“ und drei Uhr morgens? Mehr als 25.000 Besucher suchten Samstag nacht eine Antwort auf diese Frage. Freier Eintritt in das Naturkundemuseum, den Martin-Gropius-Bau und weitere sechzehn Museen, Busverbindungen im Halbstundentakt und ein Glas Wein in den Museumsbars lockte in der „Langen Nacht der Museen“ eine bunte Mischung aus Museums-Hoppern, Touristen und Partyvolk an.

In der „Clubs United Nacht“ für Bildungsbürger hatten Museen an acht verschiedenen Standorten bis Mitternacht offen, das Schloß Charlottenburg, der Martin-Gropius-Bau mit der Berlinischen Galerie und dem Werkbundarchiv sowie das Musikinstrumentenmuseum an der Philharmonie schlossen gar erst um drei Uhr morgens ihre Pforten.

Am Martin-Gropius-Bau, dem Standort Nummer 6, war der Andrang schlimmer als an einem Totensonntag. Bereits zwei Stunden vor Veranstaltungsbeginn standen sich weit über einhundert Besucher in der Kälte die Füße in den Bauch, um sich einen Platz für die „Otto Sander liest Ringelnatz“- Veranstaltung um Mitternacht zu sichern. Wer nicht vergeblich frieren wollte, ließ sich einfach von einem Shuttlebus zu Standort Nummer 7 bringen.

Das Musikinstrumenten-Museum mit seinen Radleiern, Brettgeigen und anderen Instrumenten aus dem 18. Jahrhundert hat wohl noch nie zuvor so viel Andrang wie in dieser Nacht gehabt. In der Kellerbar führte eine gut gelaunte Elisabeth Zündel in rotem Unterwäsche-Outfit und reichlichem Kunstblutfluß ihre „Goldberg-Vari-Aktionen“-Performance auf.

Ob das Verspeisen gebackener Architekturmodelle im Werkbundarchiv, Sonderprogramme wie Lesungen, Musik oder Modenschauen, das nächtliche Betrachten von Dinosaurierknochen im Naturkundemuseum oder mitternächtliches Probe-Sitzen auf Marcel-Breuer-Stühlen – die „Lange Nacht der Museen“ im Rahmen des Berliner Museumsmonats hatte für jeden Geschmack etwas zu bieten.

Während die Kulturverwaltung gestern von einem „vollen Erfolg“ sprach, war der eine oder andere Museumsfan genervt wegen dem großen Andrang. Ein junges Pärchen, das sich kurz nach Mitternacht im Bauhaus mit einem Glas Ginger Ale stärkte, hatte schon eine wahre Odyssee hinter sich. „Wir haben um halb elf im Charlottenburger Schloß angefangen“, bilanzierte der junge Mann über seinen Aktionismus. „Danach sind wir schnell rüber ins Ägyptische Museum, dann zum Gropius-Bau, dort nicht mehr reingekommen, dann zum Hamburger Bahnhof und nun hier im Bauhaus.“

Überall waren Geschichten von überfüllten Museen und von der Völkerwanderung zu hören, die zwischen dem Hamburger Bahnhof und dem Naturkundemuseum eingesetzt hatte. Der durchschnittliche Museums-Hopper absolvierte im Schnitt drei bis vier Stationen. „Doch das geht natürlich nur mit dem Pkw“, klärte ein Museumsfan mit fahrbarem Untersatz auf.

Zwei Uhr nachts am Gropius- Bau. Ein müder und abgespannter Aufseher: „Als der Sander hier war, gab's den Overkill“, stöhnte er. „Da ging nix mehr.“ Doch mittlerweile waren nur noch ein paar jüngere Leute da, die auf dem Weg in den Tresor oder das E-Werk schnell durch die Ausstellung huschten. Der Mann an der Garderobe wimmelte eine Viertelstunde vor drei die letzten Spätankömmlinge ab. „Bitte, noch ein Viertelstündchen“, flehten sie. Doch der Mann blieb eisern. „Kommt morgen nachmittag um drei wieder.“ Kirsten Niemann