■ Die Belgrader Opposition hat keine Konzepte
: Wende ohne Ende?

Kein Lärm, kein Trommeln, kein Trillern, kein Happening mehr – es herrscht Ruhe auf Belgrads Straßen. Protestheld Zoran Djindjic und Einpeitscher Vuk Drašković schicken ihr Fußvolk nach Hause, erklären „die erste Etappe der Revolution“ für beendet. So einfach geht das. Doch es klingt verdächtig, wenn die beiden Straßen-Häuptlinge die angebliche Ruhe vor dem großen Sturm damit begründen, nun sei der Augenblick gekommen, über die „Methode des Kampfes“ grundsätzlich nachzudenken (Djindjic), denn ein „großes Ziel braucht eine große Taktik“ (Drašković).

Oh, Serben-Promis, was ist in Euch gefahren! Noch hat sich das konfuse Oppositionsbündnis Zajedno nicht einmal darauf verständigen können, wer am kommenden Freitag Oberbürgermeister werden darf, da wollt Ihr hoch hinaus. Als habe der Zajedno-Chaoten-Club schon die kommenden Parlamentswahlen im Herbst gewonnen, dröhnt Drašković, demnächst werde er Slobodan Milošević als Präsident Serbiens ablösen, dessen Koffer seien eh schon gepackt. Mitstreiter Djindjic werde dann die Regierungsgeschäfte als Premier übernehmen, die Pazifistin Vesna Pesić die Funktion als Parlamentspräsidentin.

Bizarre Revoluzzer. Aus dreimonatigem Marsch scheinen sie nichts gelernt zu haben, nichts aus sieben Jahren Umbruch im Osten Europas. Was die Bulgaren, Rumänen, Albaner, aber auch Ungarn, Litauer und Polen seit 1989 an bitteren Enttäuschungen beim langen Marsch zur Demokratie durchmachten, kommt auf die Serben noch zu. Im Rausch der Freiheit hatten sich die Völker zwar bei den ersten Mehrparteienwahlen von ihren roten Peinigern getrennt, um die inzwischen zu Sozialisten mutierten Wendehälse kurz darauf wieder an die Macht zu hieven. Warum sollte es in Serbien heute anders sein? Milošević hat schon manche Wandlung vollzogen, etwa die vom Kriegstreiber zum Dayton-Friedensengel. Warum sollte er jetzt daran scheitern, was einem Gyula Horn in Ungarn, einem Milan Kucan in Slowenien, einem Kiro Gligorov in Mazedonien gelang? Dort regieren noch immer geläuterte Lenin-Jünger. Die fröhliche Revolution auf Belgrads Straßen war eine beachtliche Leistung. Doch das ändert nichts daran, daß die geschmeidigsten Köpfe der Opposition bisher kein Konzept einer Regierungsverantwortung entwickelt haben. Das Volk sieht in ihnen gute Protestler, aber keine Realpolitiker. Karl Gersuny